3/2022 Balance zwischen Flexibilität und Stabilität

„Da bin ich komplett flexibel!“ Ist Ihnen dieser Satz auch schon einmal über die Lippen gekommen? In verschiedensten Kontexten begegnet uns diese Aussage immer wieder: Flexibilität im Hinblick auf Zeiten, Orte, die Gestaltung des Wochenendes oder der Essgewohnheiten.

Gerade bei alltäglichen Konsumentscheidungen spielt das Thema Flexibilität eine wichtige Rolle. Kundinnen und Kunden tendieren immer häufiger dazu, ihre Präferenzen für ein bestimmtes Produkt zu verändern. Da in den meisten Fällen jedoch keine genaue Vorhersage zukünftig geltender Rahmenbedingungen möglich ist, wünschen Menschen sich schlicht mehr Flexibilität. Viele Unternehmen haben diesen Trend erkannt und sind aktuell damit beschäftigt, ihr Angebot anzupassen. Weg von starren Kaufvereinbarungen hin zu mehr Optionen wie z. B. Abonnements bei Handyverträgen oder beim Streaming-Dienst der Wahl.

Anbieter reagieren damit auf ein Phänomen aus der Psychologie. Dieses besagt, dass sich Menschen oftmals nicht festlegen können oder wollen, da eine noch bessere Möglichkeit auftauchen könnte. Diese sogenannte „Fear-of-better- Options“ (auf Deutsch: Angst vor besseren Optionen) wird durch steigende Flexibilität gewissermaßen abgefedert. Produkte, deren Eigenschaften sich ständig an meine aktuellen Bedürfnisse anpassen, erleichtern mir meine Entscheidung in bestimmten Situationen. Beispielsweise, wenn ich mich nicht auf eine Leistung (Datenvolumen, Monatsraten etc.) in meinem Handyvertrag festlegen möchte, da ich nicht weiß, wie mein Nutzungsverhalten in einem halten Jahr aussieht.

Ähnliches lässt sich im beruflichen Kontext beobachten. Auch dort rückt der Wunsch nach Flexibilität verstärkt in den Vordergrund. Eine Studie der University of Kent identifizierte Flexibilität als eine von zehn Eigenschaften, die Arbeitgebern in Anbetracht der Auswahl von neuem Personal besonders wichtig ist. Doch nicht nur von den Arbeitgebern wird das Thema Flexibilität zukünftig vorangetrieben werden. In einer modernen Arbeitswelt stellen sich vor allem die Arbeitnehmer als zentrale Triebfeder für gesteigerte Flexibilität in Arbeitsverhältnissen heraus. Sei es im Hinblick auf flexiblere Arbeitszeiten und -orte oder das allgemeine Arbeitsklima. Laut einer Studie des Karrierenetzwerks LinkedIn geben rund 40 Prozent der befragten Deutschen an, einen Jobwechsel in Betracht zu ziehen, sollte ihr aktueller Arbeitgeber ihren Wünschen nach flexiblen Arbeitsmodellen nicht nachkommen. Dies macht eines deutlich – möglichst flexibel zu sein ist ein Vorteil, sowohl aus Sicht des Arbeitgebers als auch aus der Perspektive von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Doch was ist mit „flexibel sein“ überhaupt gemeint?
Neben der physischen Biegsamkeit bedeutet Flexibilität, dass jemand oder etwas in der Lage ist, sich wechselnden Umständen anzupassen. Eine flexible Person oder ein flexibles Unternehmen lässt sich an bestimmten Merkmalen erkennen. Eines davon ist das Verhalten in Situationen, in denen es mit veränderten Anforderungsprofilen und neuen Herausforderungen konfrontiert wird.

Im Zuge schneller Entwicklungen und Veränderungen, sowohl im beruflichen als auch im privaten Kontext, nimmt die Bedeutung dieser Flexibilität weiter zu. Dies wird beispielsweise im Hinblick auf Entwicklungen rund um das Thema Digitalisierung deutlich. Die rasanten technologischen Fortschritte z. B. bezüglich digitaler Kommunikation oder E-Mobilität finden nicht in einem gleichbleibenden Tempo statt. Stattdessen scheint die Dynamik, mit der Entwicklungen in der Technik vorangetrieben werden, stetig an Fahrt aufzunehmen. Ein „neu“ gekauftes Smartphone kann bereits morgen als veraltet gelten. Ohne nun in die Tiefen der neusten Smartphone-Technik einzusteigen, wird deutlich, dass es immer schwerer fällt, akkurate Prognosen über zukünftig geltende Standards, Bedarfe und Möglichkeiten zu treffen.

Dass Flexibilität zu einem echten Wettbewerbsvorteil geworden ist, zeigt die Coronapandemie. Durch den vielerorts verhängten Lockdown wurde die Welt von Unternehmen rund um den Globus auf den Kopf gestellt. Geschäfte mussten geschlossen bleiben, Hausbesuche waren nicht mehr möglich und auch das Freizeitleben wurde massiv eingeschränkt. Erschwerend kam hinzu, dass beschlossene Maßnahmen und Regelungen keinesfalls in Stein gemeißelt waren. Mit Bezug auf das Infektionsgeschehen wurden diese immer wieder aufgehoben, teilweise abgeändert oder verstärkt. Eine Prognose für die nächsten Monate war praktisch unmöglich.

Zahlreiche Unternehmen haben innerhalb kürzester Zeit reagiert und alternative Wege gefunden, um trotz dieser Ungewissheit handlungsfähig zu bleiben. Online Shops wurden eingerichtet, Sportkurse gestreamt, Beratung per Videotelefonie durchgeführt und viele andere kreative Lösungen gefunden. Im Gegensatz zu einem starren Festhalten und Warten auf Lockerungen, sind viele Unternehmen nur dank eines sehr flexiblen Geschäftsmodells unter den widrigen Bedingungen durch die Pandemie gekommen.

Neben der Flexibilität ist die Stabilität nicht zu vernachlässigen.

Stabilität beschreibt einen Zustand, der von Vorhersehbarkeit und Belastbarkeit gekennzeichnet und frei von Schwankungen ist. Im betrieblichen Kontext bedeutet er im weiteren Sinn Routinen, Standards und die Verlässlichkeit von Prozessen. Grundsätzlich ist der Begriff der Stabilität in der Gesellschaft sehr positiv besetzt und erfüllt das Bedürfnis vieler Menschen nach Sicherheit und Beständigkeit.

Auf den ersten Blick erscheint es, dass sich die beiden Konzepte – Flexibilität und Stabilität – ausschließen, vielleicht sogar widersprechen. Müssen wir also damit leben, dass die Flexibilität die Stabilität ablöst? So überspitzt formuliert lautet die Antwort natürlich nein. Stabilität ist für Unternehmen und Beschäftigte ebenso wichtig wie Flexibilität. Vielmehr ist das Verhältnis von Flexibilität und Stabilität so zu verstehen, dass ein gewisses Maß an Flexibilität die Stabilität einer Struktur noch verstärkt.

Bildhaft lässt sich das anhand eines Baums erklären. Ein Baum steht vor allem deshalb stabil im Sturm, weil sich seine Äste im Wind biegen und nicht versuchen, diesem starr zu trotzen. Stabilität und Flexibilität in der richtigen Balance ergänzen sich im Kontext von Schwankungen komplementär. Ohne eine solide, stabile Basis in Form etablierter Prozesse und Strukturen in einem Unternehmen, ist es nicht möglich, flexibel zu agieren und neue Dinge hinsichtlich geänderter Anforderungen auszuprobieren. Andersherum ist es für die zukünftige Stabilität eines Unternehmens erforderlich, flexibel auf veränderte Bedingungen zu regieren, Neues auszuprobieren und dies in der strategischen und strukturellen Ausrichtung des Unternehmens zu verwurzeln.

Im Kontext von Veränderung ist es also nicht hilfreich, die Zukunft bis ins Detail vorhersagen zu wollen und auf Basis dieser Überlegung eine Entscheidung zu treffen. Vielmehr kann eine flexible Grundhaltung dabei helfen, gut für zukünftige Entwicklungen aufgestellt zu sein und eine gewisse Stabilität zu erreichen.

■ Moritz Beuting
■ Eva Wilgenbus

IGU e. V.