Vor kurzem berichtete mir ein Arbeitskollege begeistert, er habe sich eine neue „Schwalbe“ gekauft. Für die jüngeren Leser: Eine „Schwalbe“ ist ein Moped, das seit den 60er Jahren in der damaligen DDR produziert wurde und nach der Wende auch in den alten Bundesländern Kultstatus erreichte. Inzwischen wird die Schwalbe ausschließlich mit Elektromotor angeboten.
Das Gespräch weckt Erinnerungen. Wie mobil waren die Menschen damals eigentlich, insbesondere auf dem Lande, wo ich aufgewachsen bin? Betraf die vermeintlich „gute alte Zeit“ auch die Mobilität?
Die echte Mobilität begann für mich in den 60er Jahren als 5-Jähriger mit meinem ersten Fahrrad. Mein Großvater hatte es aus Einzelteilen zusammengebaut, die er vom Schrottplatz besorgt hatte. Mit zunehmendem Alter wuchsen die Rahmengrößen der Fahrräder. Mit 15 bzw. 16 Jahren durfte ich schließlich Mofa oder Moped fahren. Gefühlt fuhren in den 70er Jahren 80 Prozent der Jugendlichen Mofas oder Mopeds. Mit Erreichen der Volljährigkeit wechselten viele direkt auf das Auto, einen alten VW Käfer oder Opel Kadett, der sich mit diversen Ferienjobs zusammensparen ließ. Rückblickend war dies die Zeit, in der kaum jemand einen Meter mehr zu Fuß ging. Jeder Weg wurde mit dem Auto zurückgelegt. Ich übertreibe mit dieser Schilderung vielleicht ein wenig, aber auch wirklich nur ein wenig. Das Auto dominierte die Mobilität. Daran hatten nicht einmal die Ölkrise und die autofreien Sonntage im Jahr 1973 etwas geändert. Dies zeigte sich am Rückbau von diversen eingleisigen Bahnstrecken. Kleine Bahnhöfe wurden geschlossen, verfielen oder wurden zu Wohnzwecken genutzt. Die Busverbindungen zwischen kleinen ländlichen Orten wurden vernachlässigt. Fahrradfahren war keine priorisierte Alternative. Radfahren inmitten des Straßenverkehrs war gefährlich.
Es war bekannt, dass diese Entwicklung nicht richtig war. In den Innenstädten, die lange Zeit direkt angefahren werden konnten, etablierten sich zunehmend Fußgängerzonen. Was für eine Wohltat!
Wer kein Auto zur Verfügung hatte, reiste per Anhalter, er trampte. Der Tramper stellte sich an den Straßenrand, hielt den Daumen in die gewünschte Fahrtrichtung und wartete, mitgenommen zu werden. Das gelang tagsüber immer sehr schnell. Angst vor Übergriffen gab es nicht. Das Bild von Trampern ist nach und nach völlig aus dem Verkehrsgeschehen verschwunden. Heute sind Tramper Exoten.
Das liegt auch an veränderten Mobiltätsangeboten. Im überregionalen Verkehr ersetzten private Mitfahrmöglichkeiten das Trampen, koordiniert durch gewerbliche Mitfahrzentralen. In Konkurrenz zur Bahn etablierten sich FlixBusse. Von Essen nach Berlin für 30 Euro. Günstiger geht’s kaum.
Im örtlichen Bereich fuhren zunehmend Sammeltaxen statt Busse, die in den verkehrsschwachen Abendzeiten mit dem Busticket genutzt werden konnten. In den letzten Jahren sind auf Strecken, auf denen ein regulärer Linienverkehr nicht möglich oder wirtschaftlich nicht tragbar ist, Bürgerbusse hinzugekommen, von gemeinnützigen Vereinen mit ehrenamtlichen Fahrern betrieben.
In größeren Städten ist das Teilen von Fahrzeugen eine sinnvolle Ergänzung, entweder in Form von Carsharing für Pkw oder in Form von Micromobilität durch kurzfristige Nutzung geliehener Elektrokleinstfahrzeuge (E-Scooter), beides technisch einfach zugänglich und digital abrechenbar über Apps. Auf dem Lande gibt es solche Angebote in der Regel nicht.
Fahrradfahren ist inzwischen eine echte Alternative. Fast überall befinden sich Radwege auch außerorts und zwischen den Ortsteilen. Wo bauliche Gegebenheiten keine gesonderten Radwege zulassen, z. B. in Innenstädten, sind die Gemeinden dazu übergegangen, Radspuren von der Fahrbahn abzutrennen. Hinzu kommt die technische Entwicklung. Pedelecs machen das Fahren einfacher. Viele erledigen jetzt Fahrten mit dem Pedelec, statt wie früher das Auto zu nutzen. Ich mache das auch. Das ist viel bequemer und entspannter. E-betriebene Lastenräder waren noch vor kurzem Exoten. Inzwischen steigt die Anzahl ständig. Steuerliche Anreize (E-Bike-Leasing) begünstigen die Entwicklung.
Zurück zur Ausgangsfrage in der Überschrift: Früher war alles besser? Ein klares Nein. Früher war vieles eindimensional, da auf den Individualverkehr in Form von Autoverkehr ausgerichtet. Inzwischen ist der Verkehr facettenreicher und flexibler geworden. Ein echter Fortschritt!
Manches Gute von damals hat sich geändert und in die neue Zeit gerettet. Zum Beispiel die elektrische „Schwalbe“. Diese ist vielleicht auch eine Überlegung für mich. Ich werde den Arbeitskollegen demnächst einmal nach seinen Erfahrungen befragen. :)
■ Rainer Rathmer