2/2022 Welche Gefahren versichern? – Über den Sinn von Deckungskonzepten in der Kfz-Versicherung

Ist es sinnvoll, in der Kfz-Versicherung für ein Elektroauto Kosten abzusichern, die dadurch entstehen, dass der Antriebsakkumulator nach einem Totalschaden entsorgt werden muss? Mit dieser Frage musste ich mich vor einiger Zeit beschäftigen. Bevor ich Ihnen meine Antwort mitteile, muss ich zum besseren Verständnis einmal kurz auf die Struktur der Kfz-Versicherung eingehen.
Die Pflicht
Der entscheidende Satz für die Bedeutung der Kfz-Versicherung steht im Pflichtversicherungsgesetz:
„Der Halter eines Kraftfahrzeugs oder Anhängers mit regelmäßigem Standort im Inland ist verpflichtet, für sich, den Eigentümer und den Fahrer eine Haftpflichtversicherung zur Deckung der durch den Gebrauch des Fahrzeugs verursachten Personenschäden, Sachschäden und sonstigen Vermögensschäden nach den folgenden Vorschriften abzuschließen und aufrechtzuerhalten, wenn das Fahrzeug auf öffentlichen Wegen oder Plätzen (§ 1 des Straßenverkehrsgesetzes) verwendet wird.“

Der Abschluss einer Kfz-Haftpflichtversicherung ist also Pflicht für den Halter eines Kraftfahrzeugs. Der Grundgedanke liegt auf der Hand. Wer einen Gegenstand mit erheblichem Gefahrenpotential in den Verkehr bringt, soll für die Folgen geradestehen können (Verkehrsopferschutz). Dazu braucht der Fahrzeughalter ein dickes Portemonnaie, und dieses Portemonnaie ist sein Versicherer. Der Mindestumfang, für den der Versicherer eintreten muss, ist gesetzlich vorgegeben. Im Falle von Personenschäden muss die Pflichtversicherung für bis zu 7,5 Millionen Euro eintreten, bei Sachschäden für bis zu 1,22 Millionen Euro. Die deutschen Versicherer gehen durchweg weit über den normierten Versicherungsschutz hinaus und bieten Versicherungssummen bis zu 100 Millionen Euro pro Schadenereignis an. Das ist gut so, wie ein Unfall an der Wiehltalbrücke im Sommer 2004 zeigt. Dieser wohl teuerste Verkehrsunfall in Deutschland kostete rd. 30 Millionen Euro. Als Ergänzung zur Kfz Haftpflichtversicherung werden weitere Zusatzbausteine angeboten, z. B. die Zusatzhaftpflichtversicherung zum Führen fremder Fahrzeuge im Ausland (sog. „Mallorca-Police“) oder eine Eigenschadendeckung, die z. B. dann eintritt, wenn der Versicherte mit dem Auto das eigene Garagentor demoliert.

Die Kür
Alle anderen über die Haftpflichtversicherung hinausgehenden Deckungen der Kfz-Versicherung sind freiwillig. Obwohl zusätzliche Kfz-Versicherungen je nach der individuellen Situation meist sehr sinnvoll sind, muss niemand einen Schutzbrief, eine Kfz-Unfallversicherung oder eine Verkehrsrechtsschutzversicherung abschließen. Auch der Abschluss einer Kaskoversicherung ist nicht verpflichtend.

Letztere, die Kaskoversicherung, bietet im Wettbewerb den größten Gestaltungsspielraum und ist deshalb im Markt Gegenstand diverser Modifizierungen im Leistungsumfang. Dies wird zumeist abgebildet über mehrgleisige Tarife (Basis/ Standard/Premium) mit unterschiedlichen Leistungen und Preisen. Nur vereinzelt fahren Marktteilnehmer – wie beispielsweise die LVM Versicherung – erfolgreich eine Ein-Tarif-Strategie mit einem Leistungsumfang auf sehr hohem Niveau mit Update-Garantie (künftige Leistungsverbesserungen werden automatisch Vertragsbestandteil) und freier Werkstattwahl.

Die Kaskoversicherung ersetzt Schäden am Fahrzeug und
an den fest ein- oder angebauten Fahrzeugteilen sowie dem
Fahrzeugzubehör. In der Teilkaskoversicherung werden dann
marktweit in allen Tarifen mindestens zum Beispiel Diebstahl,
Kurzschluss, Marderbiss und Zusammenstoß mit Haarwild
sowie Elementarschäden durch Brand, Sturm, Hagel und
Überschwemmung versichert. Die Vollkaskoversicherung
deckt zusätzlich Schäden durch Unfall und Vandalismus ab.

Je nach Tarif sind weitere Leistungen möglich, zum Beispiel Folgeschäden nach Tierbiss und Kurzschluss. Elementarschäden sind zum Teil erweitert durch Schäden aufgrund von Lawinen (auch Dachlawinen) und Murren, Kollisionsschäden mit Haarwild sind erweitert um Schäden mit Tieren aller Art. Daneben werden Neupreisentschädigung, Kaufwertentschädigung, Leasing Differenzkasko (sog. GAP-Deckung) in unterschiedlichem Umfang mit und ohne Zusatzbeitrag angeboten. Je nach Tarif wird voller Versicherungsschutz trotz grober Fahrlässigkeit angeboten, auf den „Abzug neu für alt“ verzichtet sowie die Reparaturwerkstatt vom Versicherer vorgegeben oder der Wahl des Kunden überlassen.

Der steigende Absatz von Elektrofahrzeugen hat dazu geführt, dass spezielle Leistungen für solche Fahrzeuge in die Versicherungsbedingungen aufgenommen wurden. Dazu gehören zum Beispiel die Mitversicherung von Ladekabeln, mobilen und stationären Ladestationen sowie Deckung für Überspannungsschäden, Allgefahrendeckung für den Antriebsakkumulator, Kosten für Zustandsdiagnostik und Restwertermittlung nach Akku-Beschädigung. Auch Entsorgungskosten für den Antriebsakkumulator sind versichert. Und damit sind wir wieder bei der Ausgangsfrage. Ist das sinnvoll?

Sinnfragen
Die Mitversicherung derartiger Kosten wundert möglicherweise den Juristen und den Schadenregulierer. Der Jurist ist verwundert, weil der Fahrzeughalter gar nicht mit Kosten der Akkuentsorgung belastet ist, denn die Hersteller sind gesetzlich zur Rücknahme verpflichtet. Der Schadenregulierer wundert sich, weil die Entsorgung von Akkus in der Schadenregulierung bisher nicht als Problem aufgefallen ist.

Ist ein solcher Deckungseinschluss in der Kaskoversicherung dennoch sinnvoll? Die Antwort lautet ja. Sie können davon ausgehen, dass jedes Leistungsdetail in den Versicherungsbedingungen einer Kundenanfrage entspricht. Das ist auch bei den Entsorgungskosten für den Antriebsakkumulator nicht anders. Inzwischen fragt selbst Stiftung Warentest für seine Marktrecherche bei den Versicherern ab, welche speziellen Leistungen bei Elektroautos versichert sind. Auch nach Entsorgungskosten wird gefragt. Ein Kunde, der sich mit dem Thema Elektromobilität beschäftigt, erwartet, dass sein Versicherer ihm für alle in Betracht kommenden Themenfelder Lösungen anbietet. Das gilt erst recht, wenn er in der Fachpresse liest, worauf er bei Abschluss seiner Versicherung achten sollte. Außerdem ist natürlich nicht jeder Kunde ein Jurist oder ein Schadenregulierer. Wozu auch? Kunden müssen kein Fachwissen vorhalten, um Deckungsfragen zu entscheiden. Das ist Aufgabe des Versicherers. Und der tut einem Kunden keinen Gefallen, wenn er ihn in Detailfragen zum Deckungsumfang verstrickt. Viel besser ist ein eindeutiges „Ja!“ auf die Frage, ob das versichert ist.

Vielleicht werden Sie sich nach der Lektüre dieses Artikels selbst an eine ungewöhnliche Leistung erinnern, die Ihnen mal bei einem Versicherungsprodukt aufgefallen ist. Wundern Sie sich also nicht. Der Versicherer hat sich etwas dabei gedacht. Und erst recht der Kunde, der mit seiner Frage die Ursache für die Aufnahme in den Leistungskatalog begründet hat.

■ Rainer Rathmer

IGU e. V.