2/2018 Ein anderer Heiligenschein

Sie werden sich wahrscheinlich über diese etwas sinnige Überschrift wundern und sich fragen, was ein Heiligenschein mit Mensch und Arbeit zu tun hat.

Auch der Katholikentag, der kürzlich bei uns in Münster stattfand, hat uns nicht so beeinflusst, dass wir jetzt bei jedem Menschen einen Heiligenschein sehen.

Ich spreche vom Halo-Effekt. „Halo“ kommt aus dem Griechischen und bezeichnet den Lichtkreis um Sonne und Mond und bedeutet aus dem Englischen übersetzt Heiligenschein. Der „Halo-Effekt“ bewirkt, dass einzelne positive Eigenschaften einer Person oder einer Sache so stark auf uns wirken, dass andere Eigenschaften damit überstrahlt werden und von uns ausgeblendet werden. Wir schließen also vom Bekannten auf das Unbekannte, ohne dass wir dafür einen entsprechenden Beweis haben.

Eine erstmalige Beobachtung des Halo-Effekts findet sich im Jahr 1907 durch Frederic L. Wells. Den Begriff „Halo-Effekt“ prägte allerdings zu Beginn des 20. Jahrhunderts Edward Lee Thorndike. Ein Ergebnis seiner Forschungen, welches bis heute durch diverse Studien immer wieder belegt werden konnte, besagt, dass der Halo-Effekt am stärksten bei physischer Attraktivität wirkt. Thorndike, der seine Studien u. a. bei der Armee durchführte, beobachtete, dass Soldaten, die als „schön“ oder „attraktiv“ bezeichnet werden konnten, durchweg besser beurteilt wurden, als die anderen Soldaten – und zwar in allen Bereichen.

Einem Menschen, den man als schön empfindet, werden daher aufgrund des Halo-Effekts häufig Attribute wie sympathisch, kompetent, erfolgreich, intelligent und andere ähnlich positive Eigenschaften zugeschrieben. Dass diese Eigenschaften durchweg auf alle schönen Menschen zutreffen, würde keiner ernsthaft behaupten.

Es gibt aber noch viele weitere Beispiele für den Halo-Effekt:

Brillenträger werden als intelligent angesehen.

Sportlerinnen und Sportlern, die in einer bestimmten Sportart gut sind, wird automatisch auch eine gute Sportlichkeit in anderen Sportarten zugeschrieben.

Menschen im Business-Outfit wird ein hohes Selbstbewusstsein unterstellt.

Humorvolle Menschen gelten als vertrauenswürdig.

Attraktive Professorinnen und Professoren werden bei den Studierenden als kompetenter angesehen, als die unattraktiveren.

Sie werden sicherlich selbst noch einige Punkte hinzufügen können.

Auch bei materiellen Dingen ist der Halo-Effekt zu beobachten. Ganze Modelabels sind berühmt geworden, nachdem Hollywoodstars mit deren T-Shirts oder Taschen gesehen wurden.

Der Halo Effekt macht natürlich auch nicht vor der Firmentür halt. Attraktive Bewerber/Bewerberinnen werden dank des Halo-Effekts bei gleicher Qualifikation mit ihren Mitbewerbern/Mitbewerberinnen wahrscheinlich öfter den Arbeitsvertrag in den Händen halten.

Was aber, wenn der Halo-Effekt so strahlt, dass einer Person z. B. gewisse Soft Skills oder fachliche Qualifikationen zugeschrieben werden, die gar nicht vorhanden sind?

Dies ist weder für die Unternehmen noch für die Mitarbeitenden unproblematisch. Falsch eingeschätzte und somit am falschen Arbeitsplatz eingesetzte Mitarbeitende können sich dort nicht entfalten und für das Unternehmen nicht die geforderte und vom Arbeitgeber aufgrund des Halo Effekts auch unbewusst erwartete Leistung bringen. Sie geraten möglicherweise in einen Teufelskreis der Überforderung/Demotivation. Im schlimmsten Fall zieht das hohe Fluktuationszahlen mit den entsprechenden Folgekosten und Auswirkungen auf die Firmenkultur nach sich.

Vermeiden werden wir den Halo-Effekt sicher nicht ganz, da unser Gehirn gerne in Schubladen und Stereotypen denkt, um Energie zu sparen. Wir können aber unser Bewusstsein für das Vorhandensein dieses Effekts schärfen und unsere Einschätzungen öfter mal kritisch hinterfragen und dem „langsamen Denken“ im Gehirn eine Chance geben. Das ist zwar deutlich energieintensiver, kommt dafür aber mit deutlich weniger Stereotypen und Schubladen aus.

Dies gilt nicht nur bei Einstellungsgesprächen, sondern im gesamten beruflichen wie privaten Alltag, ob mit Kolleginnen und Kollegen, Kundinnen und Kunden oder in der Familie. Das schnelle, energiearme Denken benutzen wir dann weiter für solche Sachen wie Zähneputzen, den Weg zur Arbeit, den man schon fast blind fahren könnte und weitere fast automatisch ablaufende Tätigkeiten.

Und die Heiligenscheine lassen wir doch einfach bei den Heiligen.

■ Silvia Wiefel

IGU e. V.