Eine Stärke hat Gesundheitsminister Jens Spahn als neues Mitglied der Bundesregierung bereits bewiesen: Kein anderer Minister hat es geschafft, in seiner noch kurzen Amtszeit so viel Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen wie er.
Diese Form ausgeprägter Medienpräsenz allein wird Jens Spahn jedoch nicht reichen: Der Erfolg oder Misserfolg seiner Amtszeit wird daran gemessen, inwieweit er wichtige Änderungen im Gesundheitssystem umsetzt oder wenigstens auf den Weg bringt. An Ideen und Plänen mangelt es dem Minister dabei nicht.
Wie fast immer ist die Umsetzbarkeit an die Finanzierbarkeit geknüpft. Hierfür möchte Spahn die Milliardenrücklagen der gesetzlichen Krankenkassen nutzen. Mehr als die Hälfte der gesetzlichen Krankenkassen sollen dem Gesundheitsministerium zufolge über Reserven verfügen, die über die Höhe einer Monatsausgabe hinausgehen. Insgesamt soll der übersteigende Betrag die beachtliche Summe von 19,2 Milliarden Euro betragen. Nach dem Willen des Gesundheitsministers soll diese Summe ab 2019 schrittweise abgebaut werden – zum Beispiel durch eine erzwungene Senkung des Zusatzbeitrages reicher Krankenkassen.
Die Kassen hingegen argumentieren, sie würden die hohen Rücklagen als notwendiges Polster für die Zukunft – eben schlechtere Zeiten – benötigen. Sie werden ihre Rücklagen also nicht widerstandslos auflösen bzw. abtreten. Nachvollziehbar geben sie zu bedenken, dass die geplanten Änderungen nicht auf einer dauerhaft nachhaltigen Finanzierung aufbauen: Schon jetzt ist absehbar, dass bereits nach wenigen Jahren die vorhandenen Rücklagen verbraucht sein dürften.
Was sehen Jens Spahns Gesetzesentwürfe konkret vor?
◗ Einen Abbau der Krankenkassenüberschüsse: Ab 2019 sollen die Finanzreserven einer Krankenkasse nicht mehr höher sein als eine Monatsausgabe. Kassen mit höheren Rücklagen dürfen ihren Zusatzbeitrag nicht anheben. Überschüsse haben sie innerhalb von drei Jahren abzubauen (z. B. durch Senkung ihres Zusatzbeitrags), sonst geht der Überschuss in den Gesundheitsfonds, wird auf schwächere Kassen verteilt. – Kommt das Gesetz, lassen sich die Zusatzbeiträge der Krankenkassen im Schnitt um 0,3 Prozentpunkte senken.
◗ Die Rückkehr zur Beitragsparität: Ab 2019 sollen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer wieder zu gleichen Teilen am Beitrag (auch dem Zusatzbeitrag) beteiligen, was die Arbeitnehmer um etwa 6,9 Milliarden Euro entlasten soll.
◗ Beitragsentlastung für Selbstständige mit geringem Einkommen durch Herabsetzen des unterstellten Einkommens für den Mindestbeitrag für freiwillige Mitglieder (§240 SGB V). Trotz unverändertem allgemeinen Beitragssatz von 14,6 Prozent soll es dann für ca. 600.000 Selbstständige eine spürbare Reduzierung des Monatsbeitrags auf ca. 179 Euro geben.
◗ Verbesserung der Pflegesituation in den Krankenhäusern und Pflegeheimen: 8.000 Stellen sollen neu geschaffen werden. Die Kosten dieser Pflegestellen sollen die Krankenkassen vollständig tragen. Experten sehen dies skeptisch, bestenfalls als ersten Schritt, denn in der Kranken- und Altenpflege benötigt man deutlich mehr Stellen, um einem Pflegenotstand wirksam zu begegnen. Können die Krankenkassen das dann wirklich allein schultern?
◗ Faire Bezahlung für anspruchsvolle Arbeit: Alle Pflegekräfte müssen Tariflöhne erhalten, damit der Beruf attraktiver wird – sonst werden sich noch mehr junge Menschen für eine andere Berufsausbildung entscheiden.
◗ Vereinheitlichung der Ausbildungsinhalte von Kranken-, Kinderkranken- und Altenpflegern: schafft mehr Flexibilität und Wechselmöglichkeiten in den unterschiedlichen Berufsfeldern.
◗ Kürzere Termin-Wartezeiten für gesetzlich Versicherte durch Ausbau der von den Kassenärztlichen Vereinigungen betriebenen Terminservicestellen: Im Idealfall ein „Sieben Tage die Woche 24-Stunden-Dienst“ in Verbindung mit einer Erhöhung der Mindestzahl der Sprechstunden für gesetzlich Versicherte auf 25 Wochenstunden.
Auf Kollisionskurs mit den Krankenkassen
Sollten Minister Spahns Gesetzentwürfe verabschiedet und umgesetzt werden, sind dafür in der Tat Jahr für Jahr Milliardenbeträge zu veranschlagen. Solange die deutsche Wirtschaft boomt und die Arbeitslosenquote auf niedrigem Niveau verharrt, kann das funktionieren. Wie diese Mehrkosten aber dauerhaft finanziert werden sollen, wenn die dafür zunächst genutzten Rücklagen der Krankenkassen einmal aufgebraucht sind, bleibt unbeantwortet.
„Kassensterben“ ist nicht auszuschließen
Außerdem befürchten Experten, dass eine (erzwungene) Senkung der Zusatzbeiträge reicher Krankenkassen die Abwanderung von Mitgliedern von Kassen mit hohen Zusatzbeiträgen zu solchen mit niedrigen beschleunigt. Die von dieser Abwanderung betroffenen Kassen müssten dann ihre Zusatzbeiträge weiter erhöhen. Bereits von einer sogenannten „Todesspirale“ ist die Rede, die dadurch in Gang gesetzt würde und zum Kollaps von Krankenkassen mit schlechter finanzieller Situation führen kann. Deshalb fordert der GKV-Spitzenverband weitreichende und umfassende Strukturreformen des Finanzierungssystems mit Weitblick, damit finanzschwache Krankenkassen nicht unnötig in eine Notlage geraten. Zusätzlich stellen die steigenden Gesundheitsausgaben in einer alternden Gesellschaft für die Kassen und politischen Entscheidungsträger ein Problem dar.
Kapitaldeckungsverfahren als Vorbild
Nahezu vorbildlich erscheint vielen Experten in dieser Situation das Kapitaldeckungsverfahren in der privaten Krankenversicherung: Aus im Beitrag einkalkulierten Alterungsrückstellungen bilden die Unternehmen einen Kapitalstock der genutzt wird, um damit die allein durch das Älterwerden steigenden Krankheitskosten möglichst umfassend aufzufangen. Die auf privatrechtlicher Grundlage bestehenden Krankenversicherungsverträge unterliegen nicht dem staatlichen Zugriff. Für die Versicherten ein entscheidender Vorteil: Ihre beachtlichen „Alterungs-Rücklagen“ werden zweckgebunden angespart – das Gesundheitsministerium hat hier keine rechtliche Handhabe, Mittel aus diesem Kapitalstock zur Finanzierung anderer „zweckfremder“ Ausgaben abzuschöpfen.
■ Norbert Schulenkorf