In unserem Alltag befinden wir uns täglich in Verhandlungssituationen, sowohl im Privat- als auch im Berufsleben. Sei es die Diskussion mit dem Lebenspartner bzw. der Lebenspartnerin, über den nächsten Urlaub, der vielleicht doch statt des Wellnesshotels lieber ein kultureller Besuch einer europäischen Metropole werden soll oder das Meeting mit dem Kollegen bzw. der Kollegin zur Konzeption der anstehenden Präsentation.
Gewöhnliche Diskussionen wie diese werden oftmals nicht bewusst als Verhandlungsaktion wahrgenommen. Das führt dazu, dass eine Anwendung theoretisch gelernter Taktiken, welche den Gesprächspartner oder die Gesprächspartnerin erfolgreich überzeugen könnten, oft nicht stattfindet. Wie können trotzdem persönliche Stärken genutzt werden, um sie als Strategien in Alltagsverhandlungen zum Vorteil zu machen?
Mit der Erörterung individueller Stärken geht meist auch der Gedanke einher, dass Männer aufgrund ihrer stereotypisch gesehen harten und dominanten Charakterzüge erfolgreicher verhandeln als Frauen. Mit Blick auf die heutzutage immer noch vorherrschende Entgeltungleichheit zwischen Männern und Frauen wird der Eindruck weiterhin verstärkt, dass Frauen Verhandlungssituationen wie diese im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen öfter meiden. Dieses Vorurteil entkräftet das Ergebnis einer aktuellen Studie der Universität Wisconsin zusammen mit der Universität Warwick und der Cass Business School in London (2016). Demnach verhandeln Frauen genauso häufig wie Männer um ihr Gehalt, bekommen aber seltener den Zuschlag. Müssen Frauen also typisch männliche Verhandlungsstrategien nutzen, um im Berufsleben erfolgreicher zu sein?
Klare Antwort: Nein – im Gegenteil! Hinweise dafür liefert eine weitere wissenschaftliche Studie des Organisationspsychologen Jens Mazei der Universität Münster mit Kolleginnen und Kollegen aus Münster, Lüneburg und den USA (2015). In ihrer Metaanalyse konnten sie zeigen, dass die Erfolgschancen von Männern und Frauen sehr stark vom Kontext abhängen. Frauen können demnach in bestimmten Situationen durchaus effektiver verhandeln als Männer. Sie werden besonders dann als starker Verhandlungspartner wahrgenommen, wenn sie sich nicht für sich selbst, sondern für die Belange Dritter einsetzen.
Ein Beispiel für solch einen Kontext kann die Verhandlung von Konditionen für das eigene Team im Unternehmen sein. Bei der Verhandlung für Anliegen Dritter bleiben Frauen ihrem erwarteten Rollenbild treu: entgegenkommendes, beziehungsorientiertes Verhalten sowie das Interesse am Wohlergehen des Verhandlungspartners – dies wird von der anderen Seite als Stärke empfunden. Frauen werden dadurch kompetenter wahrgenommen und können somit das weibliche Verhandlungsgeschick erfolgreich als Strategie einsetzen.
Ausgehend von der Metaanalyse lassen sich drei wichtige Tipps für Frauen ableiten, welche die Chancen auf einen Verhandlungserfolg verbessern können:
Erstens, verhalten Sie sich authentisch und verhandeln Sie auch so!
Zweitens, löschen Sie klassische Rollenklischees, die Sie verunsichern, aus Ihrem Kopf: Stellen Sie sich vor, dass Sie stellvertretend für Dritte agieren!
Drittens, machen Sie sich Ihre Stärken bewusst: beziehungsorientiert, entgegenkommend und am Wohlergehen Dritter interessiert!
Diese Tipps wurden erarbeitet, da sie aktuell für Frauen sowohl im beruflichen als auch im privaten Alltag behilflich sein können. Eine kritische Auseinandersetzung mit den aktuellen Studienergebnissen sollte dennoch nicht außer Acht gelassen werden: Die Ergebnisse implizieren, dass Frauen nicht ihrer individuellen Persönlichkeit entsprechend handeln sollten, sondern sich an klischeehaften Rollenbildern orientieren müssen, um Erfolg zu haben. Die Empirie zeigt demnach auf, dass das veraltete und traditionelle Rollenverständnis der Frau auch in der modernen Gesellschaft noch fest verankert ist, zumindest in den Köpfen. Die taffe Powerfrau stößt sowohl beruflich als auch privat oftmals noch auf Ablehnung statt auf Akzeptanz und Respekt – ein Rollenbild, das noch zu ungewohnt für die moderne Gesellschaft ist und dadurch Ängste hervorruft?
In den letzten Jahren wurden bereits viele Maßnahmen ergriffen, um ein verändertes und moderneres Rollenbild der Frau, besonders das berufliche Rollenverständnis betreffend, durchzusetzen. Die kritische Betrachtung der Studienergebnisse zeigt allerdings, dass es noch nicht an der Zeit ist, diese Veränderungen einfach nur laufen zu lassen und andere Themen in den Fokus zu nehmen. Um auch das Unterbewusstsein in den Köpfen der Menschen zu erreichen, bedarf es statt eines Gesetzes zur Frauenquote weiterer wichtiger Schritte. Diese Schritte stellen die neuen Herausforderungen für den Bereich Personal in naher Zukunft dar, besonders für traditionelle Unternehmen wie zum Beispiel Versicherungen.
Workshops zu stereotypischem Denken oder Impulsvorträge sind erste Methoden, die eine Basis für dieses Projekt bilden können. Ziel dabei sollte es stets sein, dass sich nicht Frauen anders verhalten müssen, sondern die Wahrnehmung der anderen geschärft und dadurch bewusster gemacht wird. Frauen sollten nicht nur dann als starke Verhandlungspartnerinnen wahrgenommen werden, wenn sie eine weiche Seite zeigen und für Harmonie sorgen – auch die durchsetzungsstarke und selbstbestimmte Frau soll erfolgreich sein können!
Mit ein bisschen Glück trägt womöglich die Auseinandersetzung mit diesem Artikel schon in Ihrem Kopf dazu bei, Ihre unbewusst verankerten Rollenbilder mehr und mehr ins Bewusstsein vordringen zu lassen – bis dieser Prozess aber auch in den anderen Köpfen stattgefunden hat, sollten Sie sich liebe Frauen vor allem an eines halten: Egal ob Sie sich in der harmoniebedürftigen oder in der taffen Rolle wiederfinden: Bleiben Sie sich selbst treu und überzeugen Sie die anderen durch Ihre individuelle Stärke – Ihre Persönlichkeit!
■ Annika Schneemeier