2/2017 Risiko Langlebigkeit

Die meisten Menschen träumen von einem langen Leben. Unzählige Forscher auf der ganzen Welt sind damit beschäftigt, dem Alter ein Schnippchen zu schlagen und das Altern aufzuhalten. Und gerade in einem langen Leben soll ein Risiko liegen? Was für viele Menschen auf den ersten Blick unverständlich erscheint, ist für Versicherungsunternehmen eine komplexe Managementaufgabe. Für sie ist die Lebenserwartung eine der zentralen Bestimmungsgrößen zur Ermittlung von lebenslang zu zahlenden Renten.
Die Italienerin Emma Morano wurde am 29. November 1899 geboren und starb vor wenigen Wochen im Alter von 117 Jahren. Sie galt lange Jahre als der älteste Mensch der Welt und wurde immer wieder als Beispiel dafür genannt, dass Wissenschaftler Lebensalter von 130 oder 140 Jahren, ja sogar von 160 Jahren, für realistisch halten.
Und tatsächlich: Die durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen in den entwickelten Ländern verlängert sich alle vier Jahre um 12 Monate. Das bedeutet: Die Wahrscheinlichkeit, ein hohes Alter zu erreichen, ist deutlich gestiegen.
Forscher des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung haben herausgefunden, dass das Alter, in dem die meisten Menschen sterben, immer weniger streut: Während beispielsweise im Jahr 1956 die Hälfte aller Frauen innerhalb einer Zeitspanne von 16 Jahren rund um das mittlere Todesalter von 71 Jahren starben, waren es 2013 nur noch 13 Jahre um das Alter 83 Jahre.

Warum ist das so?

Die verbesserte medizinische Versorgung der letzten Jahrzehnte, eine gesündere Lebensweise, der gestiegene Wohlstand sowie der höhere Bildungsgrad mit daraus resultierenden besseren Arbeitsbedingungen sind bekanntlich die Ursachen der steigenden Lebenserwartung. Auch gibt es weniger tödliche Arbeits- und Autounfälle und es sterben weniger Menschen an den Folgen von Naturkatastrophen oder Pandemien.

Wie schätzen Versicherer die weitere Entwicklung ein?

Bereits heute haben Kinder, die derzeit geboren werden, eine viel höhere Lebenserwartung als ihre Eltern. Was aber nach Einschätzung aller Experten neu und verstärkt hinzukommt ist die weiter zunehmende Ungewissheit bei Faktoren, die die zukünftige Lebenserwartung maßgeblich bestimmen können: Gelingt in absehbarer Zeit der medizinische Durchbruch bei den häufigen Todesursachen Krebs und Herz-Kreislauferkrankungen? Viele Anzeichen sprechen dafür. Oder wie wirken sich die erwarteten deutlich sinkenden Unfallzahlen durch weitere Assistenzsysteme im Straßenverkehr bis hin zu komplett selbstfahrenden Autos aus? Was ist mit Gesundheitsarmbändern und Apps, die wichtige Vitalfunktionen online überwachen?
An diesen wenigen Beispielen wird deutlich: Jeder Versicherer muss sich die Frage stellen, ob er alle denkbaren Faktoren ausreichend berücksichtigt hat, um einem jungen Menschen eine Rentenzusage bis zu seinem Lebensende zu geben.
Wird bei den heute 50-Jährigen noch von einer einigermaßen stabilen Kalkulationsmöglichkeit ausgegangen, so wirken sich die beschriebenen Unsicherheiten umso stärker aus, je jünger jemand ist. Auch wenn die Aussage des Zukunftsforschers Dr. de Grey, dass der „erste Mensch, der 1.000 Jahre alt wird, bereits geboren ist“ eher in den Bereich der Mythen gehört, so wird die grundsätzliche Problematik der Kalkulation einer lebenslangen Versorgung deutlich.
„Für junge Menschen gibt es so viele Dinge, die über die Zeit bis zum Rentenalter die Lebenserwartung beeinflussen, dass eine verlässliche Prognose auch für große Versichertenkollektive kaum möglich ist“, so jüngst ein Experte.
Die Grundfrage für jeden Versicherer lautet: Wie viel werden wir brauchen – auch unter Berücksichtigung der Niedrigzinsphase – um Rentenversprechen auch dann erfüllen zu können, wenn viele Versicherte deutlich älter werden als angenommen. In der Sicherstellung dieser lebenslangen Leistungszusagen liegt die Kernkompetenz von Versicherungsunternehmen.

Neue Produkte mit anderen Schwerpunkten

Wegen dieser Unsicherheiten in der Zukunft haben viele Versicherungsunternehmen in den letzten Monaten neue Rentenversicherungstarife auf den Markt gebracht. Diese beinhalten weniger Garantien, bieten dafür aber höhere Renditechancen durch flexiblere Anlage an den Kapitalmärkten. Insbesondere Rentengarantien für junge Kunden sind über vielleicht 70, 80 oder noch mehr Jahre nicht mehr verlässlich zu kalkulieren.
Es etablieren sich immer mehr Policen, die die Kapitalbildung bis zum Rentenbeginn teilweise oder ganz durch Fonds abbilden und so höhere Renditechancen ermöglichen. Erst zum Rentenbeginn wird dann – mit dem erreichten Kapital und den dann aktuellen Statistiken – die lebenslange Rente errechnet und mit dem Kunden vereinbart.
Intelligente Produkte bieten dem Kunden aber auch schon zu Vertragsbeginn – also schon während der Ansparphase – durch garantierte Mindestrenten ein gewisses Maß an kalkulatorischer Sicherheit für sein Alter.

Was bedeutet das für den Kunden?

Langlebigkeit ist ein Risiko! Auf der einen Seite für das Versicherungsunternehmen, das dem Kunden auf Basis der aktuellen Statistiken und vorsichtiger Kalkulation eine attraktive, lebenslange Versorgung bieten muss. Auf der anderen Seite aber auch für den Kunden, der für sein Alter – und keiner weiß, wie lange diese Zeitspanne tatsächlich ist – in ausreichender Weise vorsorgen muss. Ein Journalist formulierte es kürzlich so: „Nichts ist schlimmer, als wenn man am Ende des Geldes feststellen muss, dass noch so viel Leben übrig ist.“ Die Wertschätzung der lebenslangen Versorgung muss gedanklich über einem reinen Renditedenken stehen.
Deshalb geht an der Absicherung dieses Risikos über eine Rentenversicherung kein Weg vorbei. Denn nur eine Rentenversicherung mit einer verlässlichen, vorsichtigen Kalkulation garantiert eine lebenslange Versorgung. Jeder sollte sein „Risiko“, 100 Jahre und älter zu werden, auf ein Versicherungsunternehmen verlagern und die Rentenzahlung durch eine Versichertengemeinschaft tragen
lassen.
Wie dabei der Ansparprozess bis zum Rentenbeginn gestaltet werden kann, hängt von vielen Faktoren ab wie zum Beispiel der zur Verfügung stehenden Dauer und der individuellen Risikoneigung bei der Kapitalanlage. An einer fachkundigen Beratung geht hier kein Weg vorbei.
Und es steht fest:
Je geringer der Zins ist und je länger die Rente voraussichtlich gezahlt werden muss, umso höher muss das Kapital sein, aus dem die Rente finanziert werden kann. Deshalb muss der Rat für junge Menschen lauten: So früh mit der Altersvorsorge beginnen wie
möglich!

■ Hans-Peter Süßmuth

IGU e. V.