1/2016 Führung im Wandel

Die gesellschaftlichen, organisationalen und individuellen Rahmenbedingungen von Führung haben sich in den letzten Jahren grundlegend gewandelt.
Man spricht vielfach von einer ‚VUCA‘-World (Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity), in der sich Organisationen und somit auch Führungskräfte bewegen: Unbeständigkeit führt zu einer erhöhten Veränderungsgeschwindigkeit und erfordert entsprechende Reaktionsmöglichkeiten; Unsicherheit und Komplexität beeinträchtigen eine langfristige Planung und erschweren die Entscheidungsfindung; mit Ambiguität gehen Ambivalenzen und Widersprüche einher, die das Führungshandeln wesentlich komplexer machen.
Daneben führt die Netzwerkgesellschaft dazu, dass Wissen demokratisiert wird. Durch die Transparenz von Wissen und Informationen sind Organisationen und auch Führungskräfte einem erhöhten Legitimationsdruck ausgesetzt. Weitere Schlagworte, die die Veränderungen skizzieren, sind Flexibilisierung, Digitalisierung und Automatisierung: Erwerbsarbeit ist räumlich, zeitlich und strukturell flexibler; Arbeitsinhalte und -formen verändern sich im Kontext der Digitalisierung; die Automatisierung führt dazu, dass bestimmte Arbeitsplätze zunehmend ersetzt werden können.
Damit ist nur ein Teil der gesellschaftlichen und organisationalen Veränderungen umrissen, mit denen Führungskräfte umgehen müssen. Auch die Menschen in den Organisationen haben sich verändert.
Die Mitarbeitenden erwarten zunehmend Gestaltungsfreiheit und Eigenverantwortung in ihrer täglichen Arbeit. Die Individualisierung führt zu stärker ausdifferenzierten Zielen und Wünschen von Mitarbeitenden, die sowohl ihre private als auch ihre berufliche Lebensplanung betreffen. Selbstbestimmung und sinnhafte Tätigkeiten rücken in den Vordergrund. Der Wunsch nach Selbstverwirklichung bleibt nicht auf das Privatleben beschränkt. Mitarbeitende fordern Partizipation und Kooperation und lehnen hierarchische Führungsbeziehungen ab.
Mit der sog. Wissensarbeit geht eine Eigenständigkeit der Mitarbeitenden einher, die das kennzahlengesteuerte Management by Objectives erschwert. Wissensarbeiter agieren sehr autonom und sind kaum direkt ‚steuerbar‘. Parallel nimmt der Qualifikationsdruck für die Mitarbeitenden zu. Da das Wissen immer schneller veraltet, reicht die einmal absolvierte Ausbildung seit Langem nicht mehr aus. Für den Kompetenzerhalt und -aufbau ist permanente Weiterbildung erforderlich, die von Führungskräften unterstützt werden muss.
Daneben wird es immer wichtiger – sowohl aufseiten der Mitarbeitenden als auch aufseiten der Führungskräfte – mit Widersprüchen umgehen zu können. Komplexe Organisationsmodelle bringen mehrdeutige Rollen hervor. Abhängig vom Kontext müssen bestimmte Rollenaspekte in den Vordergrund treten. In einer Matrix-Organisation kann bspw. die Anweisung des Vorgesetzten im Konflikt mit der Aussage eines indirekt Vorgesetzten stehen. Oder die Mitarbeitenden eines Dienstleistungsbetriebes sind gefordert, in ihrem Handeln zwischen Service und Kosten abzuwägen. Das heißt, dass Ambiguitätstoleranz und Rollenklärung bedeutende Parameter im Führungshandeln sind.
In der virtualisierten Arbeitswelt spielt selbstverständlich die Kommunikation eine zentrale Rolle. Führungskräfte sind gefordert, die Kommunikationsbeziehungen mit ihren Mitarbeitenden entsprechend zu gestalten und anzupassen. In der flexibilisierten Arbeitswelt, die unter anderem durch eine Entgrenzung von Berufs- und Privatleben gekennzeichnet ist, müssen Führungskräfte die damit einhergehenden Belastungen auffangen oder, wenn möglich, verhindern. In der zunehmend diversen Arbeitswelt haben Führungskräfte Integrationsleistungen zu erbringen, auf die sie nicht zwingend vorbereitet sind. Das Einbinden, Befähigen und Vernetzen der Mitarbeitenden wird auf unterschiedlichen Ebenen also immer wichtiger.
Nimmt man die grob umrissenen gesellschaftlichen, organisationalen und individuellen Veränderungen zusammen, wird deutlich, dass Führung sich bereits verändert hat und sich weiter verändern wird. Einerseits erschwert die VUCA-Welt die Führung, gleichzeitig macht sie Führung immer wichtiger, da Mitarbeitende Orientierung brauchen. Da Hierarchien häufiger hinterfragt werden, erhöht sich der Legitimationsdruck von Führung. Führungskräfte müssen daher in der Lage sein, die Mitarbeitenden (sowie die eigenen Vorgesetzten und Kolleg/inn/en) für die eigene Sache zu gewinnen. Wollen Führungskräfte wirksam sein, müssen sie sich vor allem ihrer unterschiedlichen Rollen bewusst sein.
War Führung bisher häufig fachlich geprägt, werden‚ Organisation‘ und ‚Management‘ – vor dem Hintergrund der beschriebenen Veränderungen – immer bedeutender. Dabei geht es darum, die unterschiedlichen Führungsrollen auszubalancieren. Sie lassen sich grob in eher aufgaben- oder ergebnisorientierte und eher mitarbeiterorientierte Aufgaben unterscheiden. Für die Entwicklung von Führungskräften bedeutet dies, ihre vertikale Entwicklung, also das Wachstum der ‚Führungspersönlichkeit‘, zu fördern und sie dabei zu unterstützen, eine gute Balance der Rollen zu finden. Eine rein horizontale Entwicklung, bei der es lediglich um den Erwerb neuen Wissens geht, kann den Anforderungen nicht gerecht werden.
■ Dr. Patricia Heufers

IGU e. V.