3/2015 Barrierefreiheit für (kommerzielle) Websites

Offizielle Zahlen zum Thema „Sehbehinderung“ sind nicht leicht zu bekommen, doch seriöse Schätzungen gehen von mehr als 1,2 Millionen sehbehinderten Menschen allein in Deutschland aus. EU-weit geht man von Zahlen um bis zu 50 Millionen Betroffenen aus – mit steigender Tendenz, auch bedingt durch den demografischen Wandel. Die Digitalisierung machte hier bis vor wenigen Jahren keinen großen Unterschied: Hinter Websites steckte von Anfang an die Idee des Anschauens und Lesens. Und nicht nur das – auch die händische Bedienung mit der Maus wird vielfach wie selbstverständlich vorausgesetzt. Doch auch das ist nicht für jeden problemlos möglich.

Wie kann ein blinder Nutzer den Inhalt einer Internetseite aufnehmen, ohne sie zu sehen?

Für das Problem des Lesens von Internetseiten durch blinde Nutzer wurden im Laufe der Zeit unterschiedliche Lösungen entwickelt. Über Screenreader-Programme, die den Text am Bildschirm automatisch vorlesen, reicht die Spanne bis hin zu Übersetzungsmaschinen, welche die geschriebenen Zeichen in Brailleschrift übersetzen, die dann auf einer angeschlossenen Spezialtastatur ertastet werden kann.
Doch trotz aller technischer Finessen sind längst nicht alle Inhalte so einfach les- und nutzbar, wie es beispielsweise bei normalem Fließtext der Fall ist. Damit Web-Entwickler und Onlineredakteure sich auf das Problem einstellen können, muss zunächst dafür sensibilisiert werden. Des Weiteren helfen Leitplanken im Sinne von einheitlichen Richtlinien bei der Umsetzung von Websites, die auch für Sehbehinderte komfortabel nutzbar sind. Dieses Bestreben wird unter dem Stichwort Barrierefreiheit für Websites zusammengefasst.

Gesetzliche Verpflichtungen, Richtlinien und Empfehlungen

Weltweit orientiert sich der Standard für barrierefreie Websites an den Web Content Accessibility Guidelines (WCAG), einer Empfehlung des World Wide Web Consortiums (W3C). International wurden diese bereits in die Gesetzgebung einzelner Staaten übernommen und auch die Bundesrepublik Deutschland hat die WCAG mit der Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV) für rechtlich verbindlich erklärt. Rechtlich zur Umsetzung verpflichtet sind dadurch zunächst aber nur die Internetauftritte des Bundes. Auf Länderebene gibt es eigene gesetzliche Regelungen, die sich aber regelmäßig auf die BITV oder die WCAG beziehen. Im Euroraum werden zudem Versicherungsunternehmen und Banken durch die EU-Kommission zur Einhaltung der Barrierefreiheit verpflichtet.
Abgesehen von den Finanzdienstleistern gibt es also für Unternehmen der privaten Wirtschaft zunächst keine gesetzliche Verpflichtung zur Einhaltung des WCAG. Die Folge ist eine immer noch relativ heterogene IT-Landschaft, in der sich sowohl überzeugte Anhänger als auch Gegner der WCAG bewegen. Aber dennoch ist der Trend hin zur barrierefreien Gestaltung von Internetseiten unübersehbar. Bei der Neu- und Weiterentwicklung von Software, insbesondere im Browser-Bereich, wird Konformität mit den WCAG heute vielfach vorausgesetzt.

Die Regelungen im Überblick

Die WCAG stellen vier globale Prinzipien der Barrierefreiheit in den Vordergrund.
Diese lauten:
◗◗ Wahrnehmbarkeit (u.a. Textalternativen für Nicht-Texte (Buttons, Bilder etc.), Kontrast)
◗◗ Bedienbarkeit (u.a. Zugänglichkeit der Funktionen per Tastatur, ausreichende Zeit zur Wahrnehmung von Inhalten ohne automatische Seitenwechsel, klare Navigationsstruktur)
◗◗ Verständlichkeit (u.a. Lesbarkeit und Verständlichkeit von Texten, klare Struktur der Inhalte)
◗◗ Robustheit (u.a. Kompatibilität mit aktuellen und zukünftigen Technologien)

Abschließend lässt sich festhalten, dass trotz der fehlenden rechtlichen Bindung für die meisten Unternehmen der Privatwirtschaft eine Berücksichtigung der Prinzipien der Barrierefreiheit zu empfehlen ist. Diverse Anbieter werben auf dem Markt der Website Gestaltung bereits mit dieser Leistung und letztendlich lässt sich so durch relativ einfache Optimierungen eine ganz neue Kundengruppe erschließen. Der große gesellschaftliche Nutzen steht hierbei ohnehin außer Frage.
■ Dennis Cosfeld-Wegener

IGU e. V.