2/2015 Flüchtlinge: Ganz Europa muss Verantwortung übernehmen

Aufgrund der katastrophalen Ereignisse im Mittelmeer führen wir derzeit eine intensive und kritische Diskussion über Flüchtlinge und deren Situation vor den Toren der EU, in der EU aber auch in Deutschland. Fest steht, dass sich Europa alles andere als mit Ruhm bekleckert hat. Es sind beschämende Bilder für ganz Europa. Die Frage nach unserer Mitverantwortung für die Verhältnisse in den Fluchtländern und Forderungen von einer uneingeschränkten Aufnahme von Flüchtlingen bis hin zu einer kompletten Abschottung Deutschlands werden laut. Welche Verantwortung kommt Deutschland zu?
Weltweit sind 17 Millionen Menschen auf der Flucht. Sie verlassen ihre Heimatländer aufgrund von Kriegen, Terror, Verfolgung und Armut. Nicht nur die Situation in vielen Flüchtlingslagern ist besorgniserregend, sondern auch die wiederkehrenden schrecklichen Bilder von Schiffskatastrophen, bei denen hunderte Menschen ihr Leben im Mittelmeer lassen, sind bedrückend. Zwei Dinge sind gewiss: Erstens wird die Zahl der Flüchtlinge nicht abreißen und zweitens kann kein Land diese internationale Herausforderung allein lösen.
Europa muss handlungsfähiger werden
Weder die hermetische Abriegelung Europas noch die bedingungslose Öffnung unserer Grenzen wird die Lösung sein. Auch Lösungen, die erst auf dem Mittelmeer greifen, werden die Situation der Flüchtlinge nicht verbessern. Nicht nur auf dem Mittelmeer, sondern bereits auf dem Weg durch Afrika bis an seine Küste gibt es unzählige Todesopfer – und das fast unbemerkt von der Weltöffentlichkeit.
Den Schleusern muss das Handwerk gelegt werden. Allerdings ist auch klar, dass es schwierig sein wird, den Schlepperorganisationen den Garaus zu machen. Ihnen spielen politische Situationen, wie zum Beispiel in Libyen, in die Hände. Aber jede einzelne Maßnahme, die Menschenleben rettet, ist richtig. Die europäischen Finanzmittel für die Missionen „Triton“ und „Poseidon“ werden verdreifacht und Deutschland schickt zwei Schiffe zur Verstärkung. Diese ersten Schritte sind ein richtiger Anfang.
Dauerhaft kann sich die Lage aber nur durch eine Verbesserung der Zustände in der Heimat der Flüchtlinge ändern. Die EU muss stärker als bisher zu Frieden und Gerechtigkeit beitragen. Und die wohlhabenden Länder müssen stärker zusammenarbeiten, um die Ursachen der Flucht zu beseitigen.
Die EU ist eine Rechts- und Wertegemeinschaft. Eine Lösung kann nur erfolgreich sein, wenn sich alle an die Regeln und Verpflichtungen halten und einen solidarischen Umgang pflegen. Deshalb ist es nur folgerichtig, dass die Bundesregierung andere Mitgliedstaaten an die Grundsätze unserer Staatengemeinschaft erinnert. Es kann nicht sein, dass lediglich 10 Mitgliedstaaten Asylsuchende aufnehmen. Ich unterstütze deshalb den Vorschlag einer verbindlichen Quote für jeden der 28 EU-Mitgliedstaaten, die sich an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Einwohnerzahl orientiert.
Zahl der Asylanträge stark gestiegen
Sie stieg von Januar bis März 2015 um knapp 130 Prozent auf über 75.000 an. Die Hauptherkunftsländer waren Kosovo, Syrien und Albanien. In diesem Zeitraum hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) über 58.000 Entscheidungen getroffen. Insgesamt 20.523 Personen wurden nach der Genfer Konvention als Flüchtling anerkannt, knapp 21.000 Anträge wurden abgelehnt und über 15.000 weitere gelten als anderweitig erledigt. Trotzdem sind noch immer 200.000 Anträge in der Bearbeitung. Deshalb wurden dem BAMF kurzfristig 1.400 zusätzliche Stellen bewilligt; bis zu 1.000 weitere werden folgen.
Bundesländer in die Pflicht nehmen
Über 50 Prozent der Asylanträge in Deutschland stehen in keinerlei Zusammenhang mit politischer Verfolgung, sondern haben ihren Ursprung in wirtschaftlicher Not. Weil Deutschland nicht allen Menschen helfen kann, müssen strukturelle Änderungen erzielt werden, um den wirklich Hilfsbedürftigen besser und zügiger helfen zu können.
Deshalb wurden letztes Jahr Bosnien und Herzegowina sowie Serbien und Mazedonien asylrechtlich zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt. Sie machen 25 Prozent der Asylanträge aus und haben kaum Erfolgsaussichten. Viele Anträge stammen außerdem von Menschen aus dem Kosovo. Der Bund und sechs Bundesländer haben Maßnahmen getroffen, um sie schneller zu bearbeiten. Mit dem Ergebnis, dass die Zahl der Anträge pro Tag in kurzer Zeit von 1.400 auf unter 100 gesunken ist.
Die Bundesländer sind für eine ausreichende Finanzausstattung der Kommunen verantwortlich. Sie erstreckt sich bis auf die Aufnahme und Unterbringung von Asylbewerbern. Einige Bundesländer sind hier sehr vorbildlich und tragen diese Kosten zu 100 Prozent. Die überwiegende Mehrheit kommt jedoch ihrer Verantwortung nicht nach: Asylbewerber werden so schnell wie möglich aus der zentralen Erstaufnahmeeinrichtung, die vom Land finanziert wird, an die Kommunen weitergeleitet. Damit werden – abgesehen von Bayern, Saarland und Mecklenburg- Vorpommern – die Kosten auf die Kommunen übertragen. Die finanzielle Belastung der Kommunen wird noch dadurch verschärft, dass die Bundesländer bei der Rückführung abgelehnter Asylbewerber sehr zurückhaltend sind oder sogar Winterabschiebestopps erlassen, wie 2014/15 in Schleswig-Holstein und Thüringen.
Große Bereitschaft in den Kommunen
Die Kommunen sind bereit, sich den Herausforderungen zu stellen, die die Aufnahme, Unterbringung und Betreuung von Asylbewerbern und Flüchtlingen bringen. Ohne diese aktive Mithilfe vor Ort kann die Flüchtlingsaufnahme nicht gelingen. Es ist aber auch richtig, dass die Kommunen mit der Aufgabe finanziell überfordert sind.
Mit dem Nachtragshaushalt 2015 und dem „Gesetz zur Förderung von Investitionen finanzschwacher Kommunen und zur Entlastung von Ländern und Kommunen bei der Aufnahme und Unterbringung von Asylbewerbern“ erhalten die Kommunen 5 Milliarden Euro. Und durch die Umsetzung der Vereinbarung vom Dezember 2014, erhalten sie vom Bund eine weitere Milliarde Euro. Aber hier ist mehr nötig, als der Ruf nach dem schnellen Geld. Auch wenn eine Erhöhung der finanziellen Mittel nicht zwingend schlecht ist, hilft es nur bedingt weiter, solange nicht strukturelle Probleme angegangen werden und sich auch die Länder ihrer Verantwortung stellen und ihre Aufgaben erledigen. Die Ergebnisse bei den Flüchtlingsgipfeln haben bereits gezeigt, dass Bund und Länder zielorientiert Lösungen zur Verbesserung der Situation herbeigeführt haben. Bis Herbst sollen Vorschläge für eine feste Kostenbeteiligung des Bundes ab 2016 vorgelegt werden.
Oberste Priorität hat der Schutz von Flüchtlingen
Auch in Zukunft wird Deutschland Flüchtlingen helfen und seiner Verantwortung gerecht werden. Im Interesse der Betroffenen müssen die Verfahren bei Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichten zügiger vonstattengehen – ohne dass daran die Qualität der Entscheidung zu leiden hat.
Es bedarf außerdem einer gezielteren Steuerung bei der Verteilung von Flüchtlingen auf die Kommunen und einem stärkeren Engagement der Länder bei der Umsetzung der Asylentscheidungen.
Neben den flüchtlingsrelevanten politischen Weichenstellungen, die Deutschland bereits eingeleitet hat, muss jetzt aber vor allem die EU eine Lösung finden. Es muss dringend eine gemeinsame Lösung erreicht werden, die die Aufnahme politisch Verfolgter solidarisch regelt und Missbrauch verhindert. Und es müssen Programme entwickelt werden, die die Lage in den Herkunftsländern auch wirklich verbessern können.
von Franz-Josef Holzenkamp (MdB)

IGU e. V.