In ganz Deutschland spielte sich am Abend der Bundestagswahl ein richtiger Wahlkrimi ab. Und mit dem Ausgang hätte wohl kaum einer gerechnet: Die Union hat die absolute Mehrheit mit 41,5 Prozent nur knapp verpasst und die Liberalen sind das erste Mal seit Gründung der Bundesrepublik nicht im Parlament vertreten. Die Union ist aber trotz des guten Wahlergebnisses auf einen Koalitionspartner angewiesen. Die Herausforderung lautet: Bildung einer stabilen Koalition.
Die Union hat mit der SPD als auch mit den Grünen Sondierungsgespräche geführt, um auszuloten mit wem ein Bündnis möglich ist. Nachdem die Grünen letztlich die Gespräche für beendet erklärt hatten, starteten die Koalitionsverhandlungen im Oktober mit der SPD.
In den letzten Wochen haben neben den Großen Koalitionsrunden (75 Mitglieder) auch 12 Arbeitsgruppen mit vier Unterarbeitsgruppen getagt, um einen Koalitionsvertrag auszuarbeiten. Bis zuletzt konnten bei einigen Themen noch keine Einigungen gefunden werden. Das betraf zum Beispiel die doppelte Staatsbürgerschaft, die Einführung einer Pkw-Maut für Ausländer, die Rentenfrage und Steuern. Dass Verhandlungen zwischen beiden Volksparteien nicht einfach sind, liegt in der Natur der Sache. Aus unterschiedlichen Überzeugungen müssen Kompromisse geschmiedet werden.
Oberste Prämisse: Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Auch wenn eine Große Koalition in diesem schwierigen Umfeld der Wunsch vieler Bürgerinnen und Bürger war, ist allen Beteiligten bewusst, dass dies auch mit Risiken wie Politikverdrossenheit und weiteren Parteiaufsplitterungen verbunden ist, die auf Dauer die Stabilität und die Handlungsfähigkeit unseres Landes in Frage stellen könnten, Beispiel Italien. Daher muss sich eine Große Koalition insbesondere um die großen Themen unseres Landes kümmern, damit die gute und stabile Entwicklung nicht gefährdet wird.
Europa: Ein stabiles Europa ist Voraussetzung für den Wohlstand in Deutschland. Deswegen muss in jedem Einzelfall der Weg der Solidarität, unter klar definierten Bedingungen der Gegenleistungen, konsequent fortgesetzt werden. Daher wird es weder Eurobonds (allgemeine Vergemeinschaftung der Haftung) noch einen Fonds zur Tilgung von Altschulden geben. In Europa gilt weiterhin das von der Union klar vertretene Prinzip von Eigenverantwortung und Solidarität mit dem es gelingen wird, Europa zu einer Stabilitätsunion zu entwickeln.
Energiewende: An dem Atomausstieg bis zum Jahr 2022 wird festgehalten. Deshalb muss die Energiewende gelingen. Damit eine weitere Kostenexplosion verhindert wird, wird das EEG kurzfristig novelliert. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien muss stärker gesteuert werden, damit die Versorgungssicherheit, die Umweltverträglichkeit und vor allem die Bezahlbarkeit gewährleistet sind, damit auch die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft. Daher werden Ausbaukorridore festgelegt, damit Produktion und Verbrauch besser aufeinander abgestimmt werden, sowie Vergütungssätze und Befreiungstatbestände überarbeitet. Altanlagen genießen selbstverständlich Vertrauensschutz.
Steuern: Wie versprochen, will die Union keine Steuern erhöhen – so soll es auch bleiben. In einem wirtschaftlich mehr als schwierigen Umfeld, aber auch einer Zeit, in der Deutschland noch nie mehr Steuereinnahmen hatte als heute, darf die gute Situation nicht dem Risiko von steigender Arbeitslosigkeit ausgesetzt werden. Mit über 42 Millionen Beschäftigten hatten noch nie mehr Menschen in Deutschland Arbeit. Höhere Steuersätze bedeuten nicht höhere Steuereinnahmen. Der Wachstumskurs muss beibehalten werden.
Demographischer Wandel: Die Überalterung unserer Gesellschaft stellt uns alle vor große Herausforderungen. Es beginnt mit der Bewältigung des Fachkräftebedarfs, der Weiterentwicklung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und endet mit der Versorgung von Jung und Alt. Insbesondere durch gezielte Verbesserungen in der Qualifikation sowie dem Ausbau der Pflege müssen wirksame Lösungen geschaffen werden.
Ländlicher Raum: Ein zentrales Anliegen ist es, die ländlichen Räume attraktiver zu entwickeln und für gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land einzutreten. In einem integrierten Ansatz sollen die soziale, öffentliche und gesundheitliche Infrastruktur gestärkt werden. So soll zum Beispiel ganz Deutschland bis 2018 mit schnellem Internet versorgt werden (Breitbandoffensive).
Schuldenabbau: Es bleibt dabei: Erstmals seit 1969 soll Deutschland ab 2015 keine neuen Schulden mehr aufnehmen. Die Entwicklungen einiger südeuropäischer Staaten zeigen wohin es führt, wenn man über seine Verhältnisse lebt. Ferner ist der Schuldenabbau ein wichtiger Beitrag im Rahmen der Generationengerechtigkeit, das heißt, mehr Chancen für junge Menschen.
Gerechtigkeit: Die Menschen erwarten, dass es in unserem Land gerecht zugeht. Deshalb wird sich die Politik auf einen Mindestlohn verständigen, der nach meiner Auffassung unter Einbeziehung der Tarifpartner ermittelt und dann für allgemeingültig erklärt werden muss. Ferner muss die sogenannte Mütterrente – für Frauen, deren Kinder vor 1992 geboren wurden – wie versprochen um einen Rentenpunkt aufgestockt werden. Aufgrund der guten Beschäftigung ist unser Sozialsystem in der Lage, diese Gerechtigkeitslücke endlich auszugleichen. Von dieser Maßnahme werden über 8 Millionen Mütter mit Familien profitieren.
Bis Ende November soll der Koalitionsvertrag stehen. Ich bin optimistisch, dass das gelingt. Schließlich können wir nicht solange Neuwahlen ausrufen bis das Ergebnis jedem gefällt. Danach wird die SPD ihre beschlossene Mitgliederbefragung durchführen. In der Union wird der Bundesausschuss (kleiner Parteitag) mit Delegierten aus allen Landesverbänden am 9. Dezember über den Koalitionsvertrag entscheiden.
Wenn es keine unvorhergesehenen Überraschungen gibt, wird Angela Merkel kurz vor Weihnachten in ihrer dritten Amtszeit zur Bundeskanzlerin gewählt werden.
von Franz-Josef Holzenkamp (MdB)