Es ist wieder Bundestagswahl und die Oppositionsparteien im Bundestag, SPD, Grüne und die Linke, machen das Gesundheitssystem zum Wahlkampfthema. Sie werben nach 2009 wieder mit der „Umgestaltung“ des Krankenversicherungssystems zu einer „Bürgerversicherung“. Das über Jahrzehnte bestehende und gut funktionierende duale System aus gesetzlichen Krankenkassen und Privaten Krankenversicherungen soll nach deren Willen abgeschafft werden.
Das Modell der Bürgerversicherung sieht in groben Zügen vor, dass alle in Deutschland lebenden Personen Mitglied und beitragspflichtig werden und dass bei der Beitragsermittlung sämtliche Einkünfte – zum Beispiel auch Kapitaleinkünfte und Mieteinnahmen – berücksichtigt werden. Das bedeutet, dass sich auch Selbstständige, Beamte und Arbeitnehmer mit einem Einkommen oberhalb der Versicherungspflichtgrenze in der Bürgerversicherung versichern müssen.
Was sehen die Modelle der Parteien vor?
➜ Das Modell der CDU
Die CDU setzt auch künftig auf Wettbewerb zwischen den gesetzlichen Krankenkassen und den Privaten Krankenversicherungen. Sie wollen am bisherigen dualen Gesundheitssystem festhalten. Eine einheitliche Bürgerversicherung lehnen sie ab. Sie erklären die privaten Krankenversicherungen zu einem unverzichtbaren Bestandteil des Gesundheitssystems.
➜ Das Modell der FDP
Auch die FDP ist gegen die Einführung der Bürgerversicherung. Nach dem Willen der FDP sollen die Versicherten sich auch künftig frei entscheiden können ob sie sich gesetzlich oder privat versichern. Sie will den Weg für ein freiheitliches und vielfältiges Gesundheitssystem fortsetzen. Um die Wettbewerbsfähigkeit der Krankenkassen zu stärken, sollen die Krankenkassen die Beitragsautonomie zurückbekommen. Notwendige Beitragserhöhungen sollen nur durch Zusatzbeiträge der Krankenkassen erfolgen und nicht durch Erhöhungen des Beitragssatzes.
➜ Das Modell der SPD
Die SPD ist für die Umsetzung einer Bürgerversicherung. Das bestehende und gut funktionierende duale System aus gesetzlichen Krankenkassen und privaten Krankenversicherungen soll abgeschafft werden. In der Bürgerversicherung sieht die SPD einerseits keine Einheitsversicherung, andererseits sind für alle Krankenkassen vereinheitlichte Rahmenbedingungen geplant. Bei welcher Krankenkasse die Bürger von dem Angebot der Bürgerversicherung Gebrauch machen bleibt nach dem Parteiprogramm der SPD jedem freigestellt. Bislang privat krankenversicherte Personen können in die Bürgerversicherung wechseln, müssen es aber nicht. Der Wechsel in die Bürgerversicherung kann dann innerhalb eines Jahres nach Einführung erfolgen. Die Alterungsrückstellungen sollen bei einem Wechsel erhalten bleiben. In die Bürgerversicherung für „Jedermann“, unabhängig vom Alter, Gesundheitszustand und Berufsstatus, soll jeder aufgenommen werden. Der Beitrag richtet sich wie bisher nach der Summe des Arbeitseinkommens, wobei Arbeitnehmer und Arbeitgeber jeweils die gleiche Beitragssumme aufbringen. Die Beitragsbemessungsgrenze bleibt für den Arbeitnehmeranteil unverändert erhalten, wobei der Arbeitgeberanteil auf die gesamte Lohnsumme entfallen soll. Weiterhin wird die SPD an der Familienversicherung festhalten, demnach sind Kinder und nicht berufstätige Ehegatten beitragsfrei mitversichert. Anstelle einer Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze auf das Rentenversicherungsniveau sollen Steuergelder in die Bürgerversicherung fließen. Die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge sowie Steuern werden weiterhin dem Gesundheitsfonds zugeführt.
➜ Das Modell der Grünen
Auch das Modell der Grünen sieht die Einführung der Bürgerversicherung vor. Im Gegensatz zur SPD sollen gesetzliche Krankenkassen und private Krankenversicherungen die Bürgerversicherung anbieten. Die Grünen hingegen möchten den bislang privat krankenversicherten Personen kein Wahlrecht einräumen. Auch sie sollen Mitglied der einheitlichen Bürgerversicherung werden. Sie schlagen vor, dass bereits angesammelte Alterungsrückstellungen für Ergänzungsversicherungen erhalten bleiben. Auch bei der Familienversicherung sind SPD und Grüne nicht der gleichen Auffassung. Die Grünen sehen die beitragsfreie Mitversicherung nur für Erwachsene vor, die auch Kinder erziehen. Für alle anderen Ehepaare und Lebensgemeinschaften sollen demnach die Einkünfte zunächst addiert und dann halbiert werden. Für beide Teile wird der Beitrag bis zur Beitragsbemessungsgrenze fällig. Wie die SPD wollen auch die Grünen die Bürgerversicherung mittels Steuern finanzieren. Bei der Verteilung der Beiträge auf Arbeitnehmer und Arbeitgeber setzen die Grünen auf Parität, d. h. beide zahlen den gleichen Anteil. Die Beitragsbemessungsgrenze hingegen wird der Rentenversicherung (in 2013 beträgt sie 5.800 Euro monatlich) angepasst. Auf die Beitragsbemessungsgrenze sollen alle Einkünfte – also auch zum Beispiel Kapitaleinkünfte, Mieteinnahmen, Gewinne etc. – angerechnet werden. Dies wird sicherlich zu einer drastischen Erhöhung der Beiträge führen.
➜ Das Modell der Linken
Im wesentlichen stimmt das Programm der Linken mit den Programmen der SPD und den Grünen überein. Die Linken wollen ebenfalls eine Bürgerversicherung ohne Wahlfreiheit. Die privaten Krankenversicherungen sollen sich nur noch auf Ergänzungsversicherungen beschränken. Im Hinblick auf Familien sieht die Linke eine beitragsfreie Familienversicherung – egal wie gestaltet – gar nicht vor. Der neu geschaffene Notlagentarif (Sondertarif für Versicherte mit Zahlungsschwierigkeiten) wäre für die Linke nicht erforderlich, denn sie beabsichtigen: Wer kein Einkommen hat, muss auch keine Beiträge zahlen, bekommt aber die gleichen Leistungen.
Es gibt noch viele ungeklärte Punkte, noch lange ist die konkrete Ausgestaltung nicht abschließend diskutiert, viele Ungereimtheiten müssen noch geklärt und viele Unstimmigkeiten ausgeräumt werden. Wer allerdings die Entwicklung unseres funktionierenden Gesundheitssystems in den letzten 3 Jahrzehnten verfolgt hat, muss zu der Erkenntnis kommen, dass eine Bürgerversicherung nicht die Lösung des Problems ist.
Wer glaubt, mit der Bürgerversicherung wird eine „Zwei-Klassen-Medizin“ abgeschafft, der irrt, denn nach der Einführung der Bürgerversicherung wird es erst dazu kommen. Es ist davon auszugehen, dass durch die Einheitsversicherung nur noch Besserverdienende eine Zusatzversicherung abschließen werden.
Unberücksichtigt bleibt zudem der demografische Wandel: Immer mehr junge müssen für immer mehr ältere Menschen aufkommen, so sieht es auch der Generationenvertrag vor. Doch bei der Stärkung des Umlageverfahrens und Verdrängung des Kapitaldeckungsverfahrens (Beiträge werden mit einer Sicherheit für das Alter kalkuliert) müssen künftige Finanzierungsschwierigkeiten durch zukünftige Generationen getragen werden.
Der PKV-Verband geht davon aus, dass die Bürgerversicherung seinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht wird und rechnet mit folgenden Nachteilen:
◗ Erhöhter staatlicher Einfluss (Finanzierung durch Steuermittel)
◗ Wettbewerbseinschränkung (Bürgerversicherung = Einheitsversicherung)
◗ Langfristig höhere Belastungen für die Versicherten
◗ Damit verbunden wieder Leistungskürzungen
Zudem ist die Bürgerversicherung für den PKV-Verband in einigen Punkten, wie zum Beispiel die Mitgabe der Alterungsrückstellungen, an die gesetzlichen Krankenkassen und die Beitragserhebung auf Einkünfte ohne Beitragsbemessungsgrenze verfassungsrechtlich bedenklich.
Fazit des PKV-Verbandes: Das einzig Gute an der Bürgerversicherung ist ihr Name.
■ Thomas Stippel