Nach zähem Ringen verständigte sich die christlich-liberale Regierungskoalition im Vermittlungsausschuss des Bundesrates mit den Sozialdemokraten auf eine Reform des Arbeitslosengeldes II, branchenspezifische Mindestlöhne und eine Lohnuntergrenze für die Zeitarbeitsbranche.
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes war eine sachgerechte, nachvollziehbare und transparente Ermittlung der Neugestaltung der Hartz-IV-Sätze der Auftrag des Gesetzgebers. Bei den weiteren Verhandlungen im Vermittlungsausschuss ging es darum, eine willkürliche Erhöhung der Regelleistung zu verhindern. Die existenznotwendigen Aufwendungen für die Leistungsempfänger, unter Einhaltung des Lohnabstandsgebotes, standen im Fokus der Neuberechnung. Dabei ist unter anderem wichtig, die Regelungen zum Arbeitslosengeld II so auszurichten, dass sie für möglichst viele Menschen eine Brücke in die Arbeit darstellen und nicht ihren Status Quo zementieren. Denn bei allem politischen Tauziehen ging es doch um Verbesserungen für die Menschen.
Bildung gegen Fachkräftemangel
Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels ist es für die Zukunft und den Wohlstand unserer Gesellschaft unabdingbar, den Fachkräftemangel deutlich zu reduzieren.
Es darf nicht sein, dass etwa 7 Prozent eines jeden Jahrgangs, das bedeutet pro Jahr etwa 64.000 Schülerinnen und Schüler, die Schule ohne Abschluss verlassen. Dazu kommen noch einmal etwa 70.000 junge Azubis, die ihre Ausbildung abbrechen. Schon eine Halbierung dieser Zahlen brächte erhebliche Fachkräfte, die unsere Wirtschaft so dringend benötigt. Neben dem gerade vorgestellten 10-Punkte-Plan der Bundesagentur für Arbeit zur Reduzierung der Abbrecherquote, müssen wir mit der Bildungsförderung bereits bei den Kleinsten ansetzen.
Deshalb ist zum Beispiel das Bildungspaket ein zentraler Bestandteil der Neuregelung der Hartz- IV-Leistungen. Bedürftige Kinder und Jugendliche erhalten jetzt im Rahmen des Bildungspaketes Zugang zu Freizeitaktivitäten, Schulmittagessen und auch Nachhilfe. Sie erhalten die Förderung, die nötig ist, um ihre Bildungschancen zu verbessern. Auch Familien mit geringem Einkommen profitieren von dieser Maßnahme.
Das Paket wurde im Zuge der Einigung noch einmal auf mindestens 1,6 Milliarden Euro jährlich für den Zeitraum 2011 bis 2013 aufgestockt. Dabei liegt die Trägerschaft für das Bildungspaket komplett bei den Kommunen, um eine schnelle, passgenaue und unkomplizierte Umsetzung vor Ort sicherzustellen.
Ein Aspekt, der auch beim Fachkräftemangel berücksichtigt werden muss, ist die Abwanderung von Fachkräften. Im Jahr 2008 überstiegen die Abwanderer die Zuwanderer um über 55.000. Das erste Mal seit vielen Jahrzehnten fiel die Wanderungsbilanz negativ aus. Gut ausgebildete und qualifizierte Fachkräfte verlassen verstärkt Deutschland. Auch von ausländischen Studenten nehmen hier nur etwa 20 Prozent eine Beschäftigung auf. Hier muss analysiert werden, warum Deutschland offenbar beim Angebot von Arbeitsplätzen für viele gut ausgebildete Arbeitnehmer unattraktiv ist. Menschen, die im Beruf oder im Studium bereits ihre fachliche Eignung bewiesen haben, müssen in Deutschland gehalten werden.
Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU ab Mai 2011
Der europäische und insbesondere der deutsche Arbeitsmarkt stehen in diesem Jahr vor einer entscheidenden Wegmarke: Am 1. Mai tritt die volle Arbeitnehmer- und Dienstleistungsfreiheit für die im Jahr 2004 der EU beigetretenen mittel- und osteuropäischen Länder in Kraft. Und damit fallen auch die letzten noch bestehenden Handelsund Wirtschaftsschranken zwischen Deutschland und den östlichen Partnerländern. Damit öffnet sich der deutsche Arbeitsmarkt endgültig für Arbeitnehmer aus Mittel- und Osteuropa.
Mit Blick auf die Änderungen zum 1. Mai 2011 ist es wichtig, die nationalen Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass keine Wettbewerbsverzerrungen zum Nachteil der heimischen Beschäftigten entstehen. Freizügigkeit und Offenheit dürfen nicht dazu führen, dass deutsche Tariflöhne unterlaufen werden und sich Lohndumping entwickelt. Deshalb wurden im Zuge der Neuregelung des Arbeitslosengeldes II ab dem 1. Mai 2011 Mindestlöhne für das Wach- und Sicherheitsgewerbe sowie für die Weiterbildungsbranche eingeführt. Gleiches gilt für den Mindestlohn für die Zeit- und Leiharbeit. Hier gilt erstmalig der tarifliche Mindestlohn, West: 7,60 Euro/Stunde, als absolute Lohnuntergrenze. Gleichzeitig soll damit der Anreiz, eine Arbeit aufzunehmen, gestärkt werden.
Vor allem im Bereich der Zeitarbeitsbranche bestand politischer Handlungsbedarf, damit mittel- und osteuropäische Zeitarbeitsfirmen deutsche Tarifverträge nicht unterlaufen können. So bestand zum Beispiel die Gefahr, dass tschechische oder polnische Zeitarbeitsfirmen ihre Beschäftigten legal zu den Bedingungen der dortigen niedrigen Lohnstrukturen für Dumpinglöhne in Höhe von nur vier Euro pro Stunde oder sogar weniger in Deutschland arbeiten lassen. Darüber hinaus bietet die Zeitarbeit – wie keine andere Branche – gering Qualifizierten und Arbeitslosen die Chance zu einem Einstieg bzw. einer Rückkehr in den ersten Arbeitsmarkt.
Gerade für unsere Wirtschaft ist es wichtig, dass die Politik es schafft, Rahmenbedingungen so zu setzen, dass die positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt auch zukünftig anhält. Das bedeutet in erster Linie, dass
◗ Menschen qualifiziert und zielorientiert in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden müssen,
◗ das vorhandene Fachkräftepotenzial vorrangig genutzt wird,
◗ der Abwanderung von Arbeitskräften entgegengewirkt werden muss.
Franz-Josef Holzenkamp
(MdB)