4/2022 „Zur vollsten oder vollen Zufriedenheit?“

Der Geheimcode im Arbeitszeugnis

In Deutschland hat jeder Arbeitnehmer nach Kündigung eines Arbeitsverhältnisses einen gesetzlichen Anspruch auf ein qualifiziertes individuelles Arbeitszeugnis – egal ob das Arbeitsverhältnis vom Arbeitgeber oder vom Arbeitnehmer gekündigt wurde.

Die Formalien
Neben dem rechtlichen Anspruch auf eine zeitnahe Aushändigung dieser Urkunde gelten noch einige andere Regeln, die ein Arbeitgeber zu beachten hat. Das Zeugnis muss auf einem offiziellen Briefbogen der Firma ausgedruckt werden oder einen Firmenstempel aufweisen und mindestens von einem Vorgesetzten unterschrieben werden. Erlaubt und häufig geübte Praxis ist, dass der Arbeitgeber den betreffenden Mitarbeiter bittet, das Zeugnis zunächst selbst zu formulieren und das dann als Vorlage nimmt.

Der Aufbau eines Zeugnisses sollte dem Standard entsprechen (siehe Kästchen). Eine abweichende Reihenfolge kann
bereits zu Missverständnissen führen. Der Anspruch auf ein Zeugnis verjährt übrigens gemäß § 195 BGB erst nach drei Jahren, soweit nicht tarifliche oder vertragliche Regelungen dagegensprechen. Ein Korrekturanspruch hingegen kann schon nach wenigen Monaten verfallen. Sollte es zum Streit über ein Zeugnis kommen, kann derjenige von Glück sprechen, der über eine Rechtsschutzversicherung verfügt. Gute Rechtsschutzversicherungen bieten Ihren Kunden sogar einen Zeugnisgenerator, über den sich ganz einfach und schnell aussagekräftige und gerichtsfeste Dokumente erstellen lassen.

Der Geheimcode
Gemäß § 109 Gewerbeordnung (GewO) muss das Arbeitszeugnis klar und verständlich formuliert werden. Es darf keine Merkmale oder Formulierungen enthalten, die den Zweck haben, eine andere als aus der äußeren Form oder aus dem Wortlaut ersichtliche Aussage über den Arbeitnehmer zu treffen. So der Gesetzeswortlaut. In der Praxis heißt dies, dass negative Formulierungen tabu sind. Über die Jahre hat sich zur „Umgehung“ dieser Vorschrift eine eigene Zeugnissprache mit zahlreichen Geheimcodes etabliert.

Neben dem Zufriedenheits-Notencode (siehe Kästchen) verraten zahlreiche Formulierungen mehr über den wahren Arbeitseinsatz und Charakter des Mitarbeiters, als auf den ersten Blick vermutet.

Standard-Aufbau eines qualifizierten Arbeitszeugnisses
→ Briefkopf vom Unternehmen
→ Überschrift
→ Einleitung/Angaben zur Person
→ Unternehmensdarstellung
→ Werdegang im Unternehmen
→ Genaue Tätigkeitsbeschreibung
→ Leistungsbeurteilung
→ Verhaltensbewertung
→ Ausstellungsgrund
→ Abschlussformel
→ Ort / Datum/Unterschrift

Das hat in einem Arbeitszeugnis nichts zu suchen
→ Betriebsratstätigkeit/Gewerkschaftszugehörigkeit
→ Schwangerschaft, Mutterschutz, Erziehungsurlaub
→ Krankheiten
→ Straftaten
→ Drogen- oder Alkoholprobleme
→ Hobbys oder Freizeitaktivitäten

Der Mitarbeiter erledigte alle Aufgaben…

NoteFormulierung
sehr gut… stets zu unserer vollsten Zufriedenheit *.
gut… stets zu unserer vollen Zufriedenheit.
befriedigend… zu unserer vollen Zufriedenheit.
ausreichend… zu unserer Zufriedenheit.
mangelhaft… im Großen und Ganzen zu unserer Zufriedenheit.
ungenügendDer Mitarbeiter bemühte sich, alle Aufgaben zu erledigen.

*auch wenn die Formulierung grammatikalisch falsch ist, gilt sie als üblich und richtig, um die Note sehr gut auszudrücken.

LeistungsbeschreibungLösung
Der Mitarbeiter hat alle Arbeiten ordnungsgemäß erledigt.Der Mitarbeiter hatte keine Eigeninitiative.
Der Mitarbeiter zeigte stets ein sehr hohes Maß an Eigeninitiative und Leistungsbereitschaft.Sehr gut.
Der Mitarbeiter hat sich im Rahmen seiner Fähigkeiten eingesetzt. oder Der Mitarbeiter war mit Interesse bei der Sache. – Er hat sich angestrengt, aber die Leistungen ließen zu wünschen übrig.Der Mitarbeiter hat sich angestrengt, aber seine Leistungen ließen zu wünschen übrig.
Der Mitarbeiter war wegen seiner Pünktlichkeit, Loyalität und Ehrlichkeit stets ein gutes Vorbild.Aufzählung von Selbstverständlichkeiten. Arbeitsleistung und Arbeitserfolg waren daher schlecht.
Der Mitarbeiter war im höchsten Maße zuverlässig.Sehr gut.
Der Mitarbeiter verfügt über Fachwissen und gesundes Selbstvertrauen.Der Mitarbeiter ist selbstverliebt.
Der Mitarbeiter war bei Kunden schnell beliebt.Der Mitarbeiter kann nicht verhandeln.
Der Mitarbeiter wurde von Vorgesetzten, Kollegen und Kunden stehts als freundlicher und fleißiger Mitarbeiter geschätzt.Sehr gut.
SozialverhaltenLösung
Der Mitarbeiter war anspruchsvoll und kritisch.Der Mitarbeiter ist ein Querulant.
Der Mitarbeiter zeigte eine erfrischende Art im Umgang mit Kollegen und Vorgesetzten.Der Mitarbeiter war frech und hat keine Manieren.
Das Verhalten des Mitarbeiters gegenüber Vorgesetzten und Mitarbeitern war stets vorbildlich.Sehr gut, aber die Reihenfolge – erst Vorgesetzte, dann Mitarbeiter – ist wichtig, ansonsten könnte es ein Hinweis auf einen Querulanten sein.
Der Mitarbeiter trat engagiert für die Interessen der Kollegen ein.Der Mitarbeiter war im Betriebsrat.
SchlussformelLösung
Der Mitarbeiter verlässt uns auf eigenen Wunsch. Wir bedauern sein Ausscheiden sehr und wünschen Ihm für die Zukunft alles Gute.Das Unternehmen verliert den Mitarbeiter sehr ungern.
Der Mitarbeiter verlässt uns auf eigenen Wunsch. Wir bedauern sein Ausscheiden und wünschen ihm für die Zukunft alles Gute.Das Unternehmen verliert den Mitarbeiter ungern.
Der Mitarbeiter verlässt uns auf eigenen Wunsch.Zukunftswunsch fehlt. Der Mitarbeiter hinterlässt keine Lücke.
Wir wünschen ihm für die Zukunft alles Gute, auch Erfolg.Am Schluss negative Leistungsbeurteilung.
Für die Zukunft wünschen wir ihm alles Gute, besonders Gesundheit.Der Mitarbeiter kränkelt oft.
Das Arbeitsverhältnis endete im gegenseitigen Einvernehmen.Hinweis auf einen Aufhebungsvertrag.
Das Arbeitsverhältnis endete am 18. August 2000.Das ungewöhnliche Beendigungsdatum weist auf eine fristlose Kündigung hin.
Wir bedanken uns bei ihm für die stets ausgezeichnete Arbeit.Der Arbeitgeber hat die Arbeit wirklich geschätzt.

Im Übrigen gilt: Besonders knappe und kurz gehaltene Arbeitszeugnisse ohne wohlwollende Grußformel sind ein Indiz auf einen sehr problematischen Mitarbeiter. Wichtig bleibt bei allem, dass der Grundgedanke des § 109 GewO nicht
konterkariert wird. Versteckte Hinweise sind generell verboten. Dazu zählt zum Beispiel auch die Nennung einer E-Mail-
Adresse oder einer Durchwahl eines Ansprechpartners für Rückfragen.

■ Anne Hilchenbach

IGU e. V.