1/2022 Don´t believe in one size fits all

Einen Artikel für die Rubrik Mensch und Arbeit unter dem Leitthema Differenzierung zu schreiben, klingt auf den ersten Blick nicht schwer. Doch schon bei den ersten Überlegungen habe ich festgestellt, dass es nicht so einfach ist, dieses Thema zu beleuchten.
Eine Prämisse während des Schreibens: „Stelle sicher, dass du weißt, was du mit deinem Text erreichen möchtest, bevor du zu schreiben beginnst.“ Doch: Welche Facetten von Differenzierung sollten in der Rubrik „Mensch und Arbeit“ favorisiert beleuchtet werden? Die Differenzierung von Leistung? Oder lieber die von Talenten und Neigungen der Mitarbeitenden? Oder die der Arbeitsumgebung? Der Arbeitszeit? Der Generationen?
Vielleicht ist genau das der Punkt. Das Arbeitsleben und die Zusammenarbeit sind ein derart vielfältiger Bereich des Lebens, dass nahezu überall differenziert werden müsste. Dies wird zwar häufig gemacht, dennoch gibt es Bereiche, in denen Differenzierung fehlt.
Ein Denkanstoß
Auf einer Tagung vor einigen Jahren durfte ich einen eindrucksvollen Vortrag erleben. Die Vortragende war Personalchefin eines Unternehmens, welches als Start-up gestartet, enorm gewachsen und nun ein allseits bekannter Global-Player ist. Sie beschrieb, dass es immer das Bestreben war, alles für alle im Unternehmen gleich zu handhaben, damit niemand das Gefühl hatte, ungerecht behandelt zu werden. Während das Unternehmen wuchs, hat sie irgendwann festgestellt, dass genau das häufig zu einer Ungleichbehandlung führte.
Nach einigen von ihr aufgeführten Beispielen aus dem Arbeitsalltag verriet Sie uns den Satz, den sie seitdem häufiger nutzt: „Don’t believe in one size fits all!“
Was hat dieser Satz in mir hervorgerufen?
Dieser Satz kommt mir seitdem des Öfteren in den Sinn, wenn Diskussionen darüber geführt werden, dass dieses oder jenes nicht möglich oder zu tun sei, damit alle gleich behandelt werden.
Was denken Sie? Müssen Servicezeiten überall einheitlich sein, oder gibt es Bereiche, in denen es Sinn macht, diese zu differenzieren?
Müssen Kernzeiten in Unternehmen für alle gleich sein oder gibt es Möglichkeiten, für bestimmte Bereiche oder einzelne Lebenssituationen der Mitarbeitenden (z. B. Pflege Angehöriger) unterschiedliche Zeiten anzubieten?
Muss immer Konsens gefunden werden oder ist Meinungsvielfalt erlaubt und sogar erwünscht?
Müssen Anreizsysteme vereinheitlicht werden oder gibt es Menschen, denen z. B. der Dienstwagen als Statussymbol gleichgültig ist, da sie anstelle dessen andere Leistungen bevorzugen?
Muss der Arbeitsort an einen festen Ort gebunden sein oder sind Alternativen denkbar?
Gerade diese Frage ist in der heutigen Zeit eher eine rhetorische. Corona hat uns gezeigt, dass selbst in Bereichen, in denen flexible Arbeitszeitmodelle und Home Office kaum vorstellbar waren, plötzlich möglich sind.
Muss die Kostenbeteiligung Mitarbeitender bei kostenpflichtigen Angeboten immer gleich hoch sein oder könnte auch hier eine Differenzierung z. B. nach Einkommen erfolgen?
Muss die Anzahl von Urlaubstagen bei allen Mitarbeitenden übereinstimmen oder kann eine Unterscheidung z. B. nach Alter, Lebenssituation oder -planung vorgenommen werden?
Es gibt sicherlich noch andere Beispiele, bei denen darüber nachgedacht werden kann, ob eine Vereinheitlichung die gerechteste Lösung ist.
Fazit
Um auf meinen eingangs erwähnten Satz „Stelle sicher, dass du weißt, was du mit deinem Text erreichen möchtest, bevor du zu schreiben beginnst.“ zurückzukommen:
Ich freue mich, wenn mein Artikel Sie dazu animiert, von Zeit zu Zeit über diesen Satz nachzudenken: „Don’t believe in one size fits all!“

■ Silvia Wiefel

IGU e. V.