4/2021 Nachhaltigkeit – wie geht das eigentlich?

Der Begriff Nachhaltigkeit ist heute in aller Munde und entsprechende Aspekte werden schon von vielen Kunden erwartet. Häufig geht es dabei um Umweltschutz. Berechtigt, hat man doch die schonende Nutzung von Ressourcen und die Regenerationsfähigkeit im Hinterkopf.

Eine Umsetzung seitens der Betriebe bei ihren Produkten ist aber sehr komplex. Dies verdeutlicht folgender Gastbeitrag aus dem Bereich Landwirtschaft.

Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft
Landwirtschaft ist systemrelevant
Der Landwirtschaft kommt in unserer Gesellschaft eine besondere Bedeutung zu. Landwirte versorgen uns täglich mit sicheren Lebensmitteln – und das in ausreichender Menge. Ein Blick in die Historie zeigt, dass sich die Produktionsziele mit der Zeit verändert haben. Lange richtete sich der Fokus auf eine Steigerung der Produktionsmengen. Es galt, Versorgungsengpässe und Hunger zu vermeiden. Heute sind Lebensmittel so sicher und in einer Vielfalt und Menge vorhanden wie noch nie.

Werte verändern sich
Klima- und Umweltaspekte, Tierwohl und nicht zuletzt ein vernünftiger Umgang mit den Menschen, die in den Produktionsbetrieben arbeiten, werden in der Gesellschaft immer wichtiger.

Wenn man diese verschiedenen Ziele einmal näher betrachtet, ergeben sich aber auch Zielkonflikte. Biologisch wirtschaftende Betriebe stehen in der öffentlichen Diskussion als Synonym für eine umweltfreundliche Produktion und gelten als besonders tierfreundlich.

Tierwohl und der Verzicht auf chemischen Pflanzenschutz sind aber nicht gleichbedeutend mit klimafreundlich. Wenn Lebensmittel extensiv produziert werden, verschlechtert sich häufig das Verhältnis von CO2-Emission je kg Lebensmittel:

Eine Hochleistungslegehenne aus einer entsprechenden Zuchtlinie benötigt weniger Ressourcen, um ein Ei zu produzieren, als eine weniger auf Leistung gezüchtete Henne in der ökologischen Haltung.

Genauso verhält es sich bei Fleisch oder Milch. Wenn wir unter Nachhaltigkeit einen Kompromiss aus Tierwohl und CO2- Effizienz verstehen, reicht eine Umstellung auf ökologische Produktion allein nicht aus. Neben Tierwohl und CO2-Effizienz gibt es natürlich viele weitere Bewertungskriterien.

Bei Nachhaltigkeit geht es auch um Verzicht
In einer rational geführten Nachhaltigkeitsdiskussion gilt es bei der Bewertung eines Produktes zunächst die Frage nach dem tatsächlichen Bedarf zu stellen. Der Mensch muss Sauerstoff einatmen und Nährstoffe zu sich nehmen, um zu leben. Dies ist, zugegeben, eine viel zu einfache Definition von Bedarf. Allerdings bedeutet eine Abwägung zwischen „Bedarf “ und „Verlangen“ immer auch eine Auseinandersetzung mit den tatsächlichen Bedürfnissen.

Bei Lebensmitteln handelt es sich um Produkte, die für jedermann einen Bedarf darstellen. Da der Mensch pro Tag eine bestimmte Menge an Energie und Nährstoffen zu sich nehmen muss, kann die tägliche Menge an Lebensmitteln nur schwer substituiert werden. Uns muss klar sein, dass eine Extensivierung der Lebensmittelproduktion an einigen Stellen ineffizienter wird und dass damit auch deutliche Preissteigerungen einhergehen werden.

Es grenzt an Bourgeoisie, wenn wir die vielen Menschen außer Acht lassen, die ein unterdurchschnittliches Einkommen beziehen und durch einen Preisanstieg bei Lebensmitteln besonders hart getroffen werden. Am Ende bedeutet dies Verzicht auf andere Dinge und damit einen Verlust der gesellschaftlichen Kaufkraft.

Wenn wir verzichten, dann wird häufig über den Verzicht auf Fleisch gesprochen. Tierische Lebensmittel haben in der Regel sowohl eine hohe Nährstoffdichte als auch eine gute Nährstoffverfügbarkeit für den menschlichen Organismus. Wer beispielhaft glaubt, Protein sei gleich Protein, egal ob aus dem Ei oder der Sojabohne, der irrt gewaltig: Sowohl die Zusammensetzung der Aminosäuren als auch deren Verfügbarkeit ist sehr unterschiedlich. An dieser Stelle soll es übrigens keinesfalls darum gehen, zu einem höheren Konsum von tierischen Lebensmitteln zu animieren …

Das Zauberwort lautet Vielfältigkeit
Beim Fleischkonsum fängt Nachhaltigkeit bei der Verwertung des ganzen Tieres an. Es muss nicht gleich die Schweineschnauze sein, aber eine reine Konzentration auf Filets und Steaks spricht nicht unbedingt für einen respektvollen Umgang mit einem Lebewesen, das uns als Lebensmittellieferant dient. Hier besteht die Herausforderung, dass die Zubereitung von vielen leckeren Gerichten fernab von Filet und Steak mehr Aufwand benötigt. Dies spricht gegen den Trend von einfacher Küche und Convenience.

Regionalität ist ein Bewertungskriterium
Möchten wir, dass ein Großteil unserer Lebensmittel aus Deutschland kommt, oder ist die Welt unser Supermarkt? Für einen hohen Anteil an Inlandsversorgung sprechen einige Argumente: Zum einen können wir bei der Produktion im eigenen Land Einfluss auf die Produktionsweise nehmen, zum anderen verkürzen wir Transportwege. Und ist nicht zuletzt ein hoher Selbstversorgungsgrad mit Lebensmitteln eine Grundlage für die Souveränität eines Staates?

Die Nachhaltigkeit bei der Produktion und der Verarbeitung von Lebensmitteln hängt aufgrund ihrer essenziellen Bedeutung mit vielen Aspekten unseres Alltags zusammen. Eine langfristige Nachhaltigkeitsstrategie für die Landwirtschaft erfordert daher auch einen Kulturwandel und kann nur mit bewussterem Konsum funktionieren.

■ Hendrik Ruholl

IGU e. V.