1/2018 Das dritte Geschlecht – Oder wieso gibt es eigentlich nur rosa ODER blaue Strampler?

„Weiblich“, „männlich“ oder etwa „inter/„divers“, diese Auswahlmöglichkeiten werden wir in Zukunft haben, wenn wir unsere Personalien angeben müssen. Bis zum Ende des Jahres 2018 muss der Gesetzgeber eine Neuregelung schaffen, die das dritte Geschlecht berücksichtigt.
Ist es denn wichtig, diesen wenigen Menschen ein Gehör zu verschaffen?
Diese Frage stellen sich Anfang November 2017 viele, denn zu diesem Zeitpunkt verpflichtet das deutsche Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber, bis Ende 2018 einen dritten Geschlechtsbegriff neben männlich und weiblich im Geburtenregister einzuführen.
„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Anhand dieses Abschnitts aus dem Bundesgesetzbuch können wir uns fragen, ob es würdevoll wäre, wenn wir andere Sexualitäten nicht akzeptieren würden.
Ein bis zwei Menschen von 1000 sind Schätzungen zufolge intersexuell. Sie lassen sich nicht eindeutig einem Geschlecht zuordnen. Das unterscheidet sie von Transsexuellen, diese fühlen sich dem anderen als ihrem biologischen Geschlecht zugehörig.
Klassische Namen setzen bereits zur Geburt ein Statement. Meist wird den intersexuellen Kindern ein Geschlecht zugeschrieben und die dazugehörige Geschlechtszugehörigkeit auch erwartet. Um nicht aufzufallen und keine Ausgrenzung Gleichaltriger zu riskieren  erfolgt eine Anpassung an diese Geschlechterrolle. In den Jahren der Pubertät und der Auseinandersetzung mit der eigenen Sexualität werden spätestens Unterschiede zum eigenen und Gemeinsamkeiten zum anderen Geschlecht gefunden. Dann stellt sich meist die Frage:
„Was bin ich eigentlich? Männlich oder weiblich?“ Wer hat uns beigebracht was typisch männlich oder weiblich ist? Woher kommen diese beiden Schubladen, in die wir uns so oft zwängen lassen? In anderen Ländern werden bereits seit Jahren andere Geschlechter berücksichtigt und akzeptiert.
Auf der indonesischen Insel Sulawesi gibt es zum Beispiel fünf anerkannte Geschlechter, die Gesellschaft der Stadt Amarete in Bolivien kennt sogar zehn und im Vereinigten Königreich kann man im Ausweis eine geschlechtsneutrale Anrede beantragen.
Wir sehen also, dass die anerkannte Geschlechteranzahl von Gesellschaft zu Gesellschaft verschieden ist. Es gibt scheinbar kein allgemeingültiges Richtig oder Falsch. Aber wieso konnte sich in Deutschland die Überzeugung festsetzen, dass es nur zwei Geschlechter gibt? Zunächst einmal stiftet die Zuordnung zu einem männlichen oder weiblichen Geschlecht einen für uns logischen Sinn und dient als Vereinfachung, um nicht jeden Tag nach der Sinnhaftigkeit dieser Einteilung zu fragen. Des Weiteren bieten viele wissenschaftliche Ansätze Antworten auf diese Sinnfrage. Der bekannteste Ansatz unter ihnen wird als „doing gender“ bezeichnet.
Die Annahme der geschlechtsspezifischen Rolle wird in dieser Theorie nicht als biologische Tatsache angenommen sondern vielmehr als interaktive Hervorbringung eines Individuums betrachtet. Die Unterscheidung zwischen Mann und Frau ist somit ein entstehendes Ergebnis sozialer Situationen und ein kontinuierlicher Prozess des Erwerbs und der Aneignung von geschlechtsspezifischen Fertigkeiten und Eigenschaften. Die Sprache, die sowohl existierende Dinge beschreibt, bezeichnet und repräsentiert, unterstützt diese Theorie. Sprache kann aber noch mehr, denn sie stiftet in vielerlei Hinsicht Bedeutungen. Sie hat dementsprechend eine produktive Eigenschaft.
„Es ist ein Junge“, diese Worte durch die Hebamme oder einen Arzt setzen also den Startschuss zu einer lebenslangen geschlechtsspezifischen Sozialisation.
Irgendwann wird der Junge in einem Spielzeuggeschäft stehen und sich für eine rosa Glitzerpuppe interessieren. Der Satz der amerikanischen Philosophin Judith Butler fasst diese Situation zusammen:
Natürlich stellt sich die Frage, ob ein einzelnes Gesetz und die Möglichkeit einer Mehrauswahl hinsichtlich der einzutragenden Personalien, dieses Rollendenken ins Wanken bringt. Ein Schritt in Sachen Vielfalt ist es auf jeden Fall. Die Tatsache, dass Vielfalt in jeglicher Hinsicht positiv sein kann, muss sich allerdings noch in unserem Bewusstsein verankern. Wenn Sie möchten, führen Sie doch mal folgendes Gedankenexperiment durch:
Ein Mensch hat ein bestimmtes Problem zu lösen, und er kommt auf drei mögliche Lösungswege. Wie viele verschiedene Ansätze würden wohl zehn Menschen finden, die genauso denken wie dieser eine Mensch? Und wie viele Lösungsansätze würden demgegenüber zehn Menschen finden, die völlig unterschiedlich denken und unterschiedliche Perspektiven einbringen?
Nehmen wir einmal an, dass diverse Menschen gemeinsam mehr Ideen generieren, welche Verschwendung wäre es da, dieses Potential nicht auszuschöpfen und immer nur seine eigene Suppe zu kochen?
Fassen wir einmal zusammen: Wir lösen in der jetzigen Zeit ein angebliches Problem, für welches wir selbst verantwortlich sind. Ein Paradox in jeglicher Hinsicht, für das nun eine erste Lösung durchgesetzt wird, die wir annehmen sollten, um unseren Horizont zu erweitern.
■ Ann-Kathrin Lindemann

IGU e. V.