Ein Problem vor allem ländlicher und strukturschwacher Gebiete: Immer weniger Mediziner sind bereit, sich dort als Vertragsarzt niederzulassen. Speziell für Hausärzte ist es schwierig, einen Nachfolger zu finden. In vielen Gemeinden, gerade auf dem Land sind Hausärzte heute schon knapp. Die flächendeckende Versorgung ist gefährdet: In einigen Jahren kann es sogar zu einer dramatischen Unterversorgung vor allem dieser ländlichen Räume kommen. Nach Berechnungen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) werden bis zum Jahr 2020 etwa 50.000 niedergelassene Ärzte in den Ruhestand gehen. Und das bei einer gleichzeitig überalternden Bevölkerung im ländlichen Raum. Gibt es in Deutschland also zu wenig Ärzte? Prinzipiell nein – sagen die Experten.
Strukturelle und institutionelle Faktoren sind für die Niederlassungsentscheidung der Ärzte von Bedeutung. Selbst bei den Hausärzten gibt es, alle Bundesländer als Ganzes betrachtet, aktuell keinen Mangel. Die Anzahl stellt also derzeit (noch) kein Problem dar, sondern nur die Verteilung.
Eigentlich gibt es in Deutschland heute mehr Ärzte als je zuvor. Dies belegt die Statistik der Bundesärztekammer: Gab es im Jahr 1990 ungefähr 240.000 berufstätige Ärzte, ist diese Zahl bis ins Jahr 2017 auf fast 380.000 gestiegen. Das entspricht in den letzten Jahren einem jährlichen Anstieg um 6.000 bis 9.000 Ärzte. Durchschnittlich lag im Jahr 2016 die Arztdichte der in Deutschland praktizierenden Ärzte bei 4,6 pro 1.000 Einwohner. Im Vergleich zu anderen OECD-Ländern gibt es in Deutschland also viele Ärzte. Dennoch entspricht die Arztdichte nicht überall dem Arztbedarf. Denn Nachwuchsmediziner bevorzugen attraktive Metropolen – Ballungszentren mit guter Infrastrukur und einem speziell für jüngere Menschen und Familien breit gefächerten Angebot im Bereich Kultur, Bildung, Sport, Freizeit und einer medizinischen Versorgung, die für sie attraktive Stellenangebote bereithält. Zusätzlich entscheiden sich immer mehr angestellte Ärzte gegen eine Vollzeitstelle. Im Trend liegt, Berufs- und Privatleben und insbesondere die Familie miteinander zu vereinen: „Work-Life-Balance“. Vor allem Ärztinnen entscheiden sich nach der Elternzeit für eine Teilzeitstelle, um mehr Zeit mit der Familie zu verbringen. Hinzu kommt, dass sich Fachärzte überwiegend in Städten niederlassen und im Durchschnitt (deutlich) höhere Einkünfte erzielen als Hausärzte.
Ein Fazit fällt also geteilt aus: In Städten und dem urbanen Umfeld steigt die Ärztedichte immer weiter, während in ländlichen Regionen immer mehr Arztpraxen keinen Praxisnachfolger finden. Frank U. Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer formuliert die Problematik treffend: “Unsere Gesellschaft altert, und die Ärzteschaft altert mit. Fast jeder vierte niedergelassene Arzt plant, in den nächsten 5 Jahren seine Praxis aufzugeben“. Bereits jetzt zeichnet sich nach Ansicht der Ärztegewerkschaft Marburger Bund ab, dass es bei Weitem keinen ausreichenden Ersatz gibt.
Sollte es die Politik nicht schaffen, gezielt durch eine gerechte Bedarfsplanung und Anreize wieder junge Ärzte für das Arbeiten auf dem Land zu gewinnen, wird sich der Trend des Mangels an Landärzten in den nächsten Jahren fortsetzen und verschärfen. Einen ersten Vorstoß wagt hier die neue Landesregierung in NRW: Durch eine Hausarztquote bei der Studienplatzvergabe soll jungen Menschen eine größere Chance eingeräumt werden, wenn sie sich für diese Fachrichtung entscheiden. Die Politik hat das Problem erkannt, schnelles Handeln ist notwendig.
Auch bei Fachärzten weicht die Versorgungsdichte zwischen urbanen und ländlichen bzw. strukturschwachen Regionen, je nach Fachrichtung, zwischen 54 bis zu 127 Prozent vom Versorgungsbedarf ab, wie eine Untersuchung der Bertelsmannstiftung ergeben hat. Viele Patienten klagen darüber, dass sie lange auf einen Facharzttermin warten oder weite Wege in Kauf nehmen müssen. In diesem Punkt sind Privatversicherte häufig im Vorteil.
Eine Betrachtung auf Bundeslandebene führt zu dem Ergebnis, dass ein Ärztemangel (bzw. Fachärztemangel) aktuell bereits in den Bundesländern Bayern, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Thüringen vorliegt. Das Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage wird sich vor allem in den ländlichen Räumen verschärfen, wo sich die Alterung durch Abwanderung der jüngerer Generation beschleunigt. Landärzten steht dann eine steigende Zahl von älteren Patienten gegenüber. Hausbesuche werden zu einem Zeitproblem. Gleichzeitig sinkt mit abnehmender Bevölkerungszahl das Infrastrukturniveau und so die Attraktivität des Umfelds. Die fortschreitende Vergreisung ländlicher Gebiete wirkt negativ auf das Angebot medizinischer Dienstleistungen. Anreize für das Arzt-Leben auf dem Land sind dringend erforderlich – da sind sich Bundesgesundheitsminister Gröhe und der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach einig. Kurzfristig lässt sich das Problem aber nicht lösen. Als mögliche Ansatzpunkte für eine wenigstens mittelfristige Verbesserung der Versorgungssituation werden folgende Vorschläge diskutiert:
◗ Ausreichende Studien- und Weiterbildungsplätze, mehr Praxisanteile und Patientenkontakte im Studium und weniger klinische Ausbildung, ggf. Einführung einer „Landarztquote“
◗ Stipendien für angehende Landärzte, Zuschüsse für die Praxisneueröffnung
◗ Abbau/Entlastung von bürokratischer Arbeitsbelastung
◗ Verringerung überbordender Arbeitsbelastung durch flexiblere Arbeitsmodelle und Teilzeitmöglichkeiten z. B. durch Bildung von Gemeinschaftspraxen und medizinischen Versorgungszentren, gemeinsame Nutzung der notwendigen „Praxis-Verwaltung“
◗ Verbesserung der Rahmenbedingungen für angestellte Ärzte, da zunehmend Interesse besteht, angestellt statt freiberuflich zu praktizieren
◗ Bessere Honorierung für hausärztliche Leistungen, Angleichung an das Facharztnievau
◗ Zusätzliche Förderprogramme für Vertragsärzte in unterversorgten Regionen
Dennoch bleiben die Experten skeptisch, ob diese Maßnahmen den gewünschten Erfolg bringen. Roland Stahl, Sprecher der KBV, sagt: „Wir erleben nun einmal einen allgemeinen Trend zur Verstädterung.“ Die Medizin kann dieses Problem nicht allein lösen. Es betrifft die ganze Gesellschaft, das grundsätzliche Verhältnis zwischen Stadt und Land.
■ Norbert Schulenkorf