„Agilität“ ist eines der großen Modewörter unserer Zeit. In einem Umfeld, in dem sich Innovations- und Produktlebenszyklen immer mehr verkürzen, steigen auch die Anforderungen an die Geschwindigkeit von Entwicklungsprozessen und Markteinführungszyklen. „Zeit ist Geld“ gilt im 21. Jahrhundert mehr denn je – und damit nicht genug: Zeit ist auch Relevanz und Wettbewerbsfaktor. Wenn ein Unternehmen auf eine wesentliche Leistungs- oder Serviceverbesserung eines Konkurrenten erst mit deutlichem zeitlichen Abstand reagieren kann, so bedeutet das nicht selten einen signifikanten Wettbewerbsnachteil. Nach namhaften Beispielen aus der Wirtschaft muss man nicht lange suchen: Kodak und der Sprung in die digitale Fotografie, Nokia und der Wandel vom Handy zum Smartphone etc. Die Liste lässt sich schnell füllen und natürlich möchte niemand gerne darauf landen. So nimmt der Wunsch nach flexiblen Planungsmechanismen zu, die einem das kurzfristige Reagieren auf neue Situationen ermöglichen. Hier soll Agilität Abhilfe schaffen.
Mehr als Softwareentwicklung
Agile Methoden werden häufig in einem Atemzug mit der Softwareentwicklung genannt. Hier werden sie auch tatsächlich sehr häufig eingesetzt, aber in aller Regel handelt es sich zunächst einmal um übergreifende Werkzeuge des Projektmanagements und dieses ist bekanntlich für praktisch jeden Wirtschaftszweig anwendbar. Im Kern geht es darum, sich in einem Projekt nicht von vornherein auf bestimmte unumstößliche Leistungsmerkmale und Termine festzulegen, sondern diese geplant in regelmäßigen Abständen mit dem Auftraggeber auf den Prüfstand zu stellen und gegebenenfalls anzupassen, sodass auf kurzfristige Änderungen von Rahmenbedingungen reagiert werden kann. In diesen Iterationszyklen kann gleichzeitig der bisher erreichte Zielerreichungsgrad erhoben und bewertet werden. Nachteilig wirkt sich das genannte Vorgehen in der Regel auf die Planungssicherheit und Termintreue aus, da es keinen festen Aufgabenplan bis zum Projektende gibt.
Unterschiedliche Sichtweisen und Methoden
Wichtig zu bemerken ist allerdings, dass es keine allgemeine Definition von agilem Projektmanagement und damit auch kein einheitliches Verständnis gibt. Die Bandbreite reicht hier von vollkommen ungeplantem und ungesteuertem Handeln bis hin zu straff geplanten, in sehr kurzen Zeitabständen erfolgenden Arbeitsschritten der Projektabwicklung, die detailliert gemessen werden und sehr prozessorientiert ablaufen.
In der Softwareentwicklung ist beispielsweise das Scrum-Modell (von „scrum“ = englisch, „das Gedränge“) sehr weit verbreitet und beschreibt – etwas vereinfacht dargestellt – folgendes: Ein Iterationszyklus wird im Scrum-Kontext „Sprint“ genannt und dauert in der Regel zwischen 14 und 30 Tagen. Zu Beginn eines Sprints werden mit dem Auftraggeber Produkteigenschaften bzw. Leistungsmerkmale definiert, die das Produkt nach dem Sprint aufweisen soll. Daraufhin stellt das Entwicklungsteam die Aufgabenpakete zusammen, die zur Erreichung des Sprintziels abgearbeitet werden müssen. Die Zuteilung von Arbeitsaufgaben kann im Vorfeld geschehen oder dynamisch während des Sprints, wenn Entwickler nach erledigten Aufgaben wieder freie Kapazitäten haben. Während des Sprints finden in der Regel kurze Abstimmungen des Entwicklungsteams zum aktuellen Bearbeitungsstand statt. Ist der Sprint beendet, wird anhand der definierten Leistungsmerkmale erhoben, ob das Sprint-Ziel erreicht worden ist. Dann kann ein neuer Sprint beginnen.
Neben Scrum gibt es zahlreiche weitere Modelle, bei denen zunehmend auch das hybride Projektmanagement an Bedeutung gewinnt. Dieses verbindet das traditionelle Projektmanagement mit agilen Methoden in der Annahme, dass auch agil geführte Projekte einen festen Handlungsrahmen benötigen.
Auch Agilität braucht Zielfokussierung
Bei allen Vorteilen, die agiles Projektmanagement mit sich bringt, kann auch diese Methode einem Projekt nicht mehr Ressourcen zur Verfügung stellen als diejenigen, die dafür veranschlagt worden sind. Das bedeutet, dass auch weiterhin ein sorgfältiges Abwägen von zu erreichenden Produkt- und Leistungszielen erforderlich ist. Agile Methoden verleiten leicht dazu, die neu gewonnene Flexibilität zu nutzen, um schnell auf vermeintlich relevante Entwicklungen zu reagieren, die sich später als kurze Leuchtfeuer mit geringer Bedeutung herausstellen. Die Ressourcen sind dann aber schon investiert worden. Insofern entbindet Agilität nicht von einer Zielfokussierung für das betreffende Produkt oder die betreffende Leistung. Aktionismus ist auch im agilen Projektumfeld kein guter Berater, aber sofern man sich dieser Risiken bewusst ist, können agile Ansätze einem Unternehmen zu deutlich mehr Flexibilität und Reaktionsgeschwindigkeit verhelfen.
■ Dennis Cosfeld-Wegener