Reserven sind wichtig
Wie wichtig eine Reserve ist, weiß jeder Autofahrer zu schätzen, wenn sich die Benzinanzeige der „0“ nähert und die nächste Tankstelle noch nicht in Sicht ist. Aber auch jeder Unternehmer muss Reserven einplanen, um langfristig erfolgreich zu sein: Liquiditätsreserven, Zeitreserven, Reserven an Arbeitskräften und Material. Je weniger sicher die Zukunft planbar ist, umso wichtiger sind Reserven.
Auch bei Versicherungsunternehmen gibt es Reserven. In den vergangenen Wochen haben sich die öffentlichen Diskussionen um die zeitnahe Ausschüttung der sogenannten Bewertungsreserven aus den Kapitalanlagen der Lebensversicherer verstärkt. Was sind dies überhaupt für Reserven und worum geht es hierbei genau?
Wichtige Fakten
Lebensversicherer geben langfristige Zinsversprechen: Über 50, 60 und mehr Jahre garantieren sie eine Mindestverzinsung, darüber hinaus erwirtschaftete Gewinne werden in Form einer – nicht garantierten – Gewinnbeteiligung ausgeschüttet.
Um diese Versprechen auf Dauer planen und kaufmännisch verantwortlich umsetzen zu können, kaufen Versicherer lang laufende Wertpapiere mit fester Verzinsung. Bewertungsreserven entstehen aus der Differenz des derzeitigen Marktwertes dieser Wertpapiere und dem dafür bei Kauf gezahlten Preis. Sie werden auch „stille Reserven“ genannt. Es sind also vom Versicherer nicht realisierte Kursgewinne, die erst durch die Veräußerung realisiert würden.
Ein Beispiel anhand einer langlaufenden Bundesanleihe:
Angenommen, die nachfolgend beschriebene Anleihe der Bundesrepublik Deutschland (WKN 113514) wäre vom Versicherer am 18. Januar 2000 erworben worden.
◗ Der Kurs der Anleihe lag damals bei 100,2 Prozent,
◗ ausgestattet mit einem Zinskupon von 6,25 Prozent p.a.
◗ Laufzeitende und somit Rückzahlung 01. April 2030
Das bedeutet, dass auch heute noch Zinsen, Jahr für Jahr, bis zum Jahr 2030 in Höhe von 6,25 Prozent an den Versicherer gezahlt würden. Da das Zinsniveau zur Zeit aber sehr niedrig ist, liegt aktuell der Kurs der Anleihe bei 154,79 Prozent. Die Rückzahlung des Kapitals erfolgt am 01. April 2030 zu 100 Prozent. Die Differenz von 54,79 Prozent sind die derzeitigen nicht realisierten Kursgewinne (Stand: 01. Juli 2013).
Die Kurse sind bei diesen Papieren nur deshalb so hoch, weil das Zinsniveau in den Keller gefallen ist.Bewertungsreserven sind also rein bilanzielle Buchgewinne von Wertpapieren. Es sind keine Gewinne, die verteilt werden könnten, sondern sie streben bis zum Ende der Laufzeit wieder gegen Null und lösen sich am Ende der Laufzeit auf.
Bei der aktuellen Gesetzeslage müssen die Versicherten bei Abläufen an diesen „Scheinreserven“ beteiligt werden. Dies hat zur Folge, dass etwa 5 Prozent der Kunden – eben die mit derzeit ablaufenden Lebensversicherungen – profitieren. Für den Rest, etwa 95 Prozent der Kunden, sinkt dadurch die laufende Verzinsung.
Zur Diskussion
Ist es gerecht, einen kleinen Teil der Kunden zu beteiligen und den Großteil dafür bezahlen zu lassen? Sollte jetzt diese Anleihe vom Versicherer verkauft werden? Oder sollte der Versicherer zur Stabilisierung der langfristigen Überschussbeteiligung und Garantien für die Versicherungsnehmer diese Anleihe behalten?
Für den Versicherer bietet diese Anleihe langfristig gesicherte Erträge, die den Versicherten zugute kommen. Diese werden benötigt, um die Zinsversprechen erfüllen zu können. Müsste jetzt diese Anleihe verkauft werden, um aus den Kursgewinnen auch die Bewertungsreserven für die derzeitigen Abläufe und Rückkäufe zu bedienen, wäre das für die Bestandskunden langfristig ein Verlust. Für die Gesamtheit der Versicherten geht kein Euro verloren, wenn die Reserven nicht, wie zur Zeit praktiziert, zeitnah ausgezahlt werden. Dies wird in der Presse leider oft falsch dargestellt. Es ist langfristig für die Versichertengemeinschaft besser, eine verlässliche Altersversorgung zu haben und die Bewertungsreserven nicht auszuzahlen. Dies wird auch von der staatlichen Finanzdienstleistungsaufsicht so gesehen.
Hierzu einige Zitate:
„Ernstzunehmende Verbraucherschützer sollten die Verbraucher davor schützen, dass Lebensversicherer Gewinne ausschütten, die nie erwirtschaftet wurden oder werden.“ (Manfred Poweleit, Branchenanalyst)
„Wir brauchen eine Lösung, die den Interessen aller dient, nicht nur den gerade Ausscheidenden.“ (Focus)
Neue Impulse, wie zukünftig mit den Bewertungsreserven zu verfahren ist, wird es wohl erst nach der Bundestagswahl geben.
Augen auf beim Neuabschluss einer Renten- und Lebensversicherung
Die Lebensversicherungsunternehmen verhalten sich sehr unterschiedlich bei der Darstellung der Bewertungsreserven. Die in den Angeboten genannte voraussichtliche Ablaufleistung beinhaltet häufig die zur Zeit gültige Beteiligung an den Bewertungsreserven. Andere Unternehmen sind hier zurückhaltend, weil mit hoher Wahrscheinlichkeit feststeht, dass die aktuell wegen der niedrigen Zinsen sehr hohen Reserven in Zukunft vielleicht gar nicht mehr verteilt werden können. Sobald die Zinsen steigen, schmelzen die Reserven wie Schnee in der Sonne.
Bei einem Angebotsvergleich können sich daraus erhebliche Differenzen ergeben. Hier ein Fall aus der Praxis: Ein Unternehmen offerierte dem Kunden im Angebot eine voraussichtliche Ablaufleistung in Höhe von 650.027 Euro.
Das Garantiekapital betrug 392.384 Euro. Somit betrug die Gesamtgewinnbeteiligung 257.643 Euro. Darin enthalten waren aber 95.809 Euro zur Zeit gültige Bewertungsreserven.
Hier wird die Gewinnbeteiligung durch die im Augenblick gültigen Bewertungsreserven um sage und schreibe 59,2 Prozent aufpoliert.
Um nicht Äpfel mit Birnen zu vergleichen, müssen Interessenten an dieser Stelle Angebote sehr genau prüfen.
■ Hans-Peter Süßmuth