Text: Klara Falke

Zwei inspirierende Lebenswege, zwei mutige Entscheidungen – und viele wertvolle Erkenntnisse für alle, die mit dem Gedanken spielen, ihr eigenes Ding zu machen. Die Geschichten von Ingo und Vera zeigen, wie unterschiedlich der Weg in die Selbstständigkeit verlaufen kann – und wie ähnlich die Herausforderungen sind, denen sich Gründerinnen und Gründer stellen müssen.

Ingo Fenner, Hörakustiker, Gründer und Unternehmer von vier Mein Hörwerk-Filialen
„Es war nie mein Bestreben, mich zurückzulehnen“ – Im Gespräch mit Ingo
Wie wurde aus dem Wunsch nach mehr Verantwortung der Schritt in die Selbstständigkeit?
Ich bin Hörakustiker und hatte schon früh den Drang, mehr Verantwortung zu übernehmen. Vom Gesellen über den Meister bis zur Filialleitung und später ins Produkt- und Projektmanagement habe ich mich stetig weiterentwickelt. Sobald Routine einkehrte, suchte ich neue Herausforderungen. Der Wunsch, etwas Eigenes zu gestalten, wurde immer stärker. Ein Gespräch mit einem Freund gab schließlich den Anstoß. Ich habe mich daraufhin intensiv mit den Grundlagen der Selbstständigkeit beschäftigt – von der passenden Gesellschaftsform bis zu den Abläufen. Vom ersten Gedanken bis zur Umsetzung vergingen etwa neun Monate.
Was ist dir beim Aufbau deines Unternehmens besonders wichtig – und holst du dir dabei Unterstützung?
Marketing steht für mich an oberster Stelle. Ich möchte mich bewusst von anderen Hörakustikern abheben – durch Social Media, Videos und eine moderne Homepage. Da mein Laden nicht in zentralster Lage liegt und Ärzte keine Empfehlungen aussprechen dürfen, ist es umso wichtiger, dass wir uns unseren Ruf selbst erarbeiten. Gleichzeitig lege ich großen Wert auf Austausch. Ich treffe mich regelmäßig mit einem Kollegen, der bereits 14 Geschäfte aufgebaut hat – wir reflektieren, brainstormen und entwickeln gemeinsam Ideen weiter. Zusätzlich höre ich Podcasts, lese viel und spreche mit anderen aus der Branche. So bleibe ich fokussiert und erweitere kontinuierlich mein Wissen.
Gab es auch Rückschläge?
Natürlich. Gerade am Anfang habe ich manchmal über das Budget hinaus investiert – dann fehlte das Geld an anderer Stelle. Es gibt so viele tolle Ideen, gerade fürs Marketing. Da kribbelt es in den Fingern, wenn es gut läuft, das Geld direkt wieder einzusetzen. Aber ich habe gelernt, dass Fixkosten wie Miete und Gehälter Vorrang haben. Heute plane ich meine Finanzen auf Jahresebene – das war ein wichtiges Learning. Ich schaue mir zwar jeden Freitag die Zahlen an, aber wenn ich wirklich wissen will, wie es dem Unternehmen geht, rechne ich sie aufs Jahr hoch.
Was hilft dir, dranzubleiben?
Zuversicht und Optimismus. Ich glaube, das ist für Unternehmer essenziell. Und: Ich versuche, nicht auf die ganze lange Liste zu schauen, sondern Schritt für Schritt vorzugehen. Jeder Marathon beginnt mit dem ersten Schritt.
Was würdest du anderen mitgeben, die über Selbstständigkeit nachdenken?
Rede mit den richtigen Leuten – mit denen, die an dich glauben, nicht mit denen, die dich von deinen Träumen abhalten wollen. Und frag dich ehrlich: Ärgere ich mich mehr, wenn ich es probiert habe und es nicht klappt – oder wenn ich es nie versucht habe?

Vera Schellewald, Promovierte Sportwissenschaftlerin, seit 2024 selbstständig mit einem eigenen Modelabel
„Drei Ideen, ein Ziel: Mein eigener Weg“ – Im Gespräch mit Vera
Du hast lange in der Wissenschaft gearbeitet. Wie kam es dazu, dass du dich selbstständig gemacht hast?
Die Idee, etwas Eigenes zu machen, hatte ich eigentlich schon immer. Aber mir fehlte lange der Mut – und auch der Punkt der Selbstverwirklichung. Irgendwann war der Wunsch so stark, dass ich gesagt habe: Jetzt oder nie.
Was waren deine ersten Schritte in die Selbstständigkeit?
Ich bin mit viel Energie und drei Ideen gestartet: ein eigenes Modelabel, eine Coachingausbildung und freiberufliche Arbeit im Betrieblichen Gesundheitsmanagement. Ich habe genäht, ein Konzept geschrieben, mich mit Instagram-Marketing beschäftigt und parallel an meiner Coachingpraxis gearbeitet. Rückblickend war das eine intensive, aber auch lehrreiche Phase. Ich habe schnell erkannt, dass es nicht möglich ist, alles gleichzeitig mit voller Kraft zu verfolgen. Mein wichtigstes Learning: Fokussiere dich auf eine Sache, baue sie strukturiert auf und stecke deine Energie gezielt hinein.
Was war für dich der größte Unterschied zwischen Festanstellung und Selbstständigkeit?
In der Festanstellung muss ich nur meine eigenen Aufgaben strukturieren – vieles andere ist vorgegeben. Als Selbstständige muss ich mir alles selbst erarbeiten: Struktur, Zielbilder, eine Vision. Und immer im Hinterkopf: Arbeit gleich Geld.
Was würdest du jemandem raten, der überlegt, sich selbstständig zu machen?
Überleg dir eine Strategie. Du bist für alles verantwortlich. Frag dich: Ist dein Wunsch groß genug, dein eigener Chef zu sein? Wenn der Gedanke an die Selbstständigkeit schon lange in dir schlummert, dann probiere dich aus. Geh deinem Gefühl nach. Lese dich ein. Check den Markt. Schreib dir ein Konzept. Und dann: Geh los.
Du bist inzwischen wieder in eine Festanstellung zurückgekehrt. Wie blickst du heute auf diese Entscheidung?
Für mich war das ein wichtiger Schritt. Ich habe gemerkt, dass mich die Selbstständigkeit auch überfordert hat – und dass es völlig in Ordnung ist, diesen Weg nicht weiterzugehen. Die Rückkehr in die Festanstellung war keine Niederlage, sondern eine bewusste Entscheidung. Mein Learning: Man muss nicht selbstständig sein, um seinen eigenen Weg zu gehen.
Ob genialer Plan oder genügend Wahnsinn: Was Ingo und Vera verbindet, ist der Wunsch nach mehr Freiheit, Sinn und persönlichem Wachstum. Sie haben sich getraut, ihre Komfortzone zu verlassen, Neues auszuprobieren und Verantwortung für ihren eigenen Weg zu übernehmen. Sie sind sich einig: Es lohnt sich loszugehen, um die eigenen Ideen in die Welt zu bringen.

Zur Autorin:
Klara Falke arbeitet in der Unternehmens- und Personalentwicklung und beschäftigt sich gerne mit Systemen und Menschen in Veränderungsprozessen.