2/2023 Vom „FOMO“ zum „JOMO“

Text: Silvia Wiefel

In unserer heutigen Gesellschaft sind viele Menschen ständig gestresst, überfordert und haben das Gefühl, dass sie keine Zeit für sich selbst haben. Der Alltag ist geprägt von einem hohen Arbeitstempo, Multitasking und einer ständigen Erreichbarkeit durch moderne Technologien.

Dies kann dazu führen, dass Menschen sich von sich selbst entfremden und ihre Bedürfnisse und Gefühle nicht mehr oder nicht mehr korrekt wahrnehmen.

Durch die Vielzahl der Angebote und Optionen werden uns vermeintliche Bedürfnisse suggeriert, die wir oft unreflektiert übernehmen.Das (noch) bessere Angebot, das Reiseziel mit der besten „Instagrammability“, das neueste Technik-Gadget oder die angesagteste Party. Die Liste könnte unendlich weitergeführt werden. Wir alle wissen um diese Möglichkeiten.

Genau dieses Wissen aber verursacht bei vielen Menschen das Empfinden, etwas zu verpassen. Hierfür wurde der Begriff „FOMO“ (aus dem Englischen „fear of missing out“ – die Angst, etwas zu verpassen) geprägt.

„FOMO“ kann zu einer Vielzahl von Emotionen führen, als da wären Stress, Angst, Unruhe oder Enttäuschung. Es kann auch dazu führen, dass wir Entscheidungen treffen, die wir unter anderen Bedingungen vielleicht nicht getroffen hätten. Mir kommt in diesem Zusammenhang sofort der Spontankauf in den Sinn. Dieser wird dadurch ausgelöst, dass uns zum x-ten Mal ein bestimmtes Produkt per Werbeanzeige in einem Social Media-Kanal angeboten wird. Nicht zu vergessen die stundenlange Suche in Black-Friday-Angeboten. Es könnte ja noch ein Schnäppchen dabei sein, welches evtl. sonst vergriffen ist.

„FOMO“ ist eine natürliche menschliche Emotion. Wichtig ist nur, sich bewusst zu machen, dass sie zu einer Quelle von Stress und Unzufriedenheit werden kann. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn ein gesundes Verständnis dafür fehlt, was wirklich wichtig ist und was nicht. Wir müssen uns darüber bewusst werden, dass wir in einer Welt leben, in der es unmöglich ist, alle Informationen aufzunehmen oder alle Angebote auszuprobieren.

Als Gegenbewegung zu „FOMO“ schwirrt daher seit einigen Jahren der Begriff „JOMO“ durch die Medien. Was ist „JOMO“ genau? Es bezeichnet nicht die Angst, sondern die Freude etwas auszulassen/zu verpassen (aus dem Englischen „joy of missing out“).

Beispielsweise die bewusste Entscheidung dafür, nicht immer bei jeder Party dabei zu sein, den angesagtesten Instagram-Spot zu besuchen oder das neueste Technik-Gadget zu kaufen. Oder die achtsame Konzentration auf die Dinge, die einem wirklich wichtig sind und die bewusste Wahl mit Bedacht.

Diese Haltung bezieht sich nicht nur auf materielle Dinge, sondern beispielsweise auch auf ein gesundes Verhältnis zu sozialen Medien, auf die (unendliche) Verfügbarkeit von Informationen und Ereignissen sowie auf ein gesundes Verhältnis zur eigenen Zeit- und Kräfteeinteilung.

Es ist wichtig zu verstehen, dass „JOMO“ nicht bedeutet, sich von allem abzukapseln, anzufangen spartanisch zu leben oder nichts Neues zu erleben.

Stattdessen geht es darum, bewusst zu wählen, was einem persönlich wirklich wichtig ist. Außerdem gilt es darauf zu achten, sich nicht von ständigen Ablenkungen und Verpflichtungen insbesondere der digitalen Welt überwältigen zu lassen.

In einer ausgewogenen Balance kann „JOMO“ so zu einem Gefühl von Freiheit und Entspannung führen.

Wer entspannt das tut, was er wirklich möchte, ist auf einem guten Weg zu einer ausgewogenen Balance zwischen „FOMO“ und JOMO. Das gilt auch, wenn dieser achtsame, bewusste Weg statt zur Party unter Umständen direkt auf die eigene Couch führt. 

Vielleicht gelingt es Ihnen, vor dem nächsten unnötigen Spontankauf oder der spontanen Zusage achtsam die Sekunde zwischen Reiz und Reaktion zu nutzen und von „FOMO“ auf „JOMO“ umzusteigen.

Ich wünsche Ihnen viel Erfolg dabei.


Zur Autorin:

Silvia Wiefel arbeitet in der Unternehmens- und Personalentwicklung und findet die vielfältigen Facetten menschlichen Verhaltens immer wieder aufs Neue spannend.

IGU e. V.