Für Unternehmer gibt es viele Strategien, sich vom Wettbewerb abzuheben und neue Kunden zu gewinnen. Die Produktdifferenzierung ist dabei ein Klassiker. Sie dient dazu, sich hinsichtlich Angebot, Produkten, Dienstleistungen oder Service von der Konkurrenz zu unterscheiden.
Das Erfrischungsgetränk Coca Cola beispielsweise wurde in den letzten Jahrzehnten für unterschiedliche Kundensegmente immer wieder um eine Vielzahl von Produktvarianten ergänzt: Cherry Coke, Coca-Cola light, Coca-Cola koffeinfrei, Coca-Cola light Plus Lemon, Coca-Cola Zero usw.
Wen wundert es, dass die Produktdifferenzierung auch schon längst in der Rechtsschutzbranche angekommen ist.
Bis 1994 verwendeten allerdings alle Rechtsschutzversicherer einheitliche Bedingungen, die zuvor durch das zuständige Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen (BAV) genehmigt wurden. Deshalb sind die sogenannten Allgemeinen Rechtsschutzbedingungen ARB 75 und ARB 94 nach wie vor standardisiert. Erst mit dem „3. Gesetz zur Durchführung der versicherungsrechtlichen Richtlinien des Rates der EG“ vom 21. Juli 1994 wurde die Genehmigungspflicht für Versicherungsbedingungen abgeschafft.
Damit war in der Branche der Produktdifferenzierung Tür und Tor geöffnet.
Klassische Produktdifferenzierung
Einige Versicherer ergänzten daraufhin die ursprünglichen Produktlinien für Verkehr, Privat, Gewerbe oder Landwirtschaft um ein oder zwei Premiumvarianten, andere schlüsselten die Produkte in ihre Bestandteile auf und erfanden ein Bausteinsystem, welches sie laufend mit neuen zeitgemäßen Bausteinen ergänzten (z. B. Rechtsschutz für Erneuerbare Energien, Cyber Rechtsschutz). Eine weitere Differenzierung lieferten verschiedene Selbstbeteiligungsmodelle bis hin zu einem Bonus-Malus-System wie bereits aus der Kraftfahrtversicherung bekannt. Und schließlich wurden für bestimmte Berufsgruppen (z. B. Ärzte) oder Hobbys (z. B. Jäger, Tierhalter) maßgeschneiderte Rechtsschutzprodukte entwickelt.
Tabus brechen
Innovative Versicherer gehen heute noch weiter, um sich vom Markt abzuheben. Sie versichern Streitigkeiten, die bislang gar nicht versicherbar waren. So verhält es sich u. a. für streit- und kostenintensive Bereiche wie beispielsweise Ehe- und Unterhaltsrecht, Baurecht, Kapitalanlagenrecht – und sogar für vorvertragliche Angelegenheiten, bei denen eine Rechtsschutzversicherung für bereits eingetretene Schadenfälle erlangt werden kann. Natürlich werden all diese Erweiterungen bei der Kalkulation des Beitrags berücksichtigt und machen das Produkt letztendlich teurer. Der Kunde soll entscheiden, ob es ihm das wert ist.
Weg vom Kostenerstatter – hin zum Servicevermittler
Ureigenste Bestimmung der Rechtsschutzversicherung ist die Erstattung von Rechtsanwalts- und Gerichtskosten. Im Laufe der Jahrzehnte entwickelten die Anbieter viele darüber hinausgehende Rechts-Services, um sich vom Markt abzuheben. Inzwischen gehört folgendes fast zum Standard einer jeden Rechtsschutzversicherung: die jederzeit erreichbare Anwalts-Hotline und E-Mail Beratung, die Bereitstellung von juristisch geprüften Mustertexten oder die Vermittlung von Mediationen. Sogar eher rechtsschutzferne Dienstleistungen wie Forderungsmanagement mit Inkasso-Service und Bonitätsprüfung oder das Entfernen von persönlichkeits- oder rufschädigenden Einträgen oder Rezensionen in Internetportalen werden angeboten.
Konkurrenz Legal Tech
Aufmerksam betrachten viele Rechtsschutzversicherungen den wachsenden Markt der Legal Tech-Plattformen wie z. B. die des Flugrechte-Spezialisten „Flightright“. Denn es gibt Parallelen im Geschäft: Sowohl die Legal-Tech Plattformen als auch die Versicherungen ermöglichen es dem Kunden, ihre Rechte wahrzunehmen. Für den Kunden macht es keinen Unterschied, ob er eine regelmäßige Prämie bezahlt und eine Rechtsschutzversicherung seinen Rechtsstreit begleicht oder ob eine Legal Tech-Plattform die Kosten individuell für einen Fall übernimmt und eine Prämie im Erfolgsfall fällig wird. Das zuletzt genannte Modell könnte für ihn sogar tendenziell attraktiver sein, da die Kosten tatsächlich nur dann anfallen, wenn das Problem konkret auftaucht. Diese Plattformen sind deshalb für die Rechtsschutzversicherer einerseits Konkurrenz und andererseits potenziell als Vorlage für die Erweiterung ihres Portfolios interessant. So gibt es bereits Versicherungen, die mit ihnen kooperieren und sich auf diese Weise vom Markt differenzieren.
Herausforderung für Kunden
Keine Frage – Differenzierung belebt das Geschäft. Sie macht es den Kunden aber auch immer schwerer, sich einen Überblick zu verschaffen und das passende Produkt auszuwählen. Eine individuelle ausführliche Beratung vor Abschluss einer Rechtsschutzversicherung ist daher unerlässlich.
■ Anne Hilchenbach