3/2021 Wo Erfahrung auf Kompetenz trifft

Im Berufsleben stößt man bei dem Thema Erfahrung auf vielfältige Sichtweisen: In Stellenanzeigen soll es der/die BewerberIn mit Berufserfahrung sein, im Nachfolgeprozess wird überlegt, wie man am besten den Wissenstransfer vom erfahrenen Vorgänger zum gegebenenfalls weniger erfahrenen Nachfolger herstellt oder es gibt Diskussionen über die Wertschätzung des Erfahrungsschatzes älterer Mitarbeitender beziehungsweise das Vorurteil, jüngere Arbeitnehmende hätten keine Erfahrung.

Erfahrung wird dabei oft gleichgesetzt mit Kompetenz. Doch ist das wirklich korrekt? Eine interessante Frage, die jede/r sich schon fast selbst beantworten kann.

Haben Sie in Ihrer Schulzeit ein Instrument gelernt?
Machen wir mal einen Schwenk vom Berufs- in das Privatleben: Haben Sie in Ihrer Schulzeit ein Instrument gelernt? Wie viele Jahre Erfahrung haben Sie mit diesem Instrument mittlerweile? Ist Ihre Kompetenz bezüglich des Spielens dieses Instrumentes gewachsen? Diese Frage wird sicherlich jede/r Einzelne sehr unterschiedlich beantworten. Doch woran liegt das?

Für die Entwicklung der Kompetenz ist es entscheidend, wie Sie die Jahre der Erfahrung genutzt haben. Was haben Sie Neues gelernt? Wie offen waren Sie für neue Erfahrungen? Um beim Bild des Instrumentes zu bleiben: Nur, wenn Sie Erfahrungen mit neuen Spielweisen, Musikstücken oder Improvisationen machen und sich immer ein wenig über Ihr bisheriges Können hinauswagen, wird Ihre Erfahrung zu Kompetenz.

Der Übertrag zurück in das Berufsleben fällt mit diesem Bild leicht. Auch hier liegt die gleiche Systematik zu Grunde: Wir können viele Jahre eine Tätigkeit ausüben und viel Erfahrung damit haben. Das sagt aber noch lange nichts darüber aus, wie kompetent wir bei dieser Tätigkeit sind. Lebenslanges Lernen ist auch hier das Motto. Offen sein für Neues, raus aus der Komfortzone. Denn nur außerhalb dieser Komfortzone finden das Lernen und die Entwicklung von Kompetenz statt.

Ein gängiges Modell hierzu ist das Komfortzonenmodell oder auch 3-Sektoren-Modell:

Die Komfortzone – zum Auftanken und Abschalten
Wie der Name schon sagt, ist die Komfortzone die Zone, in der wir sehr komfortabel und in Sicherheit eingebettet sind. Gewohnte Abläufe um uns herum, vertraute Umgebung, Routine, bekannte Gesichter. Hier können wir auftanken und abschalten, was ja nicht unwichtig ist in der heutigen Zeit.

Was hier allerdings nicht passiert, ist die Erweiterung unseres Horizonts. Neue Erfahrungen machen, unsere Träume erfüllen, sich auf den Weg zu gesteckten Zielen begeben, letztendlich: lernen.

Die Lernzone – zum Sammeln wertvoller Erfahrungen
Das Lernen findet in der Lernzone (auch „Wachstumszone“ oder „Risikozone“) statt. Hier können Sie neue Erfahrungen machen und Unbekanntes entdecken. Sie kommen heraus aus Ihrer gewohnten Komfortzone. Je öfter Sie das tun und je regelmäßiger Sie sich in dieser Lernzone bewegen, desto größer wird auch Ihre Komfortzone. Um wieder zurückzukommen auf das eingangs erwähnte Beispiel des Instrumentenspielens: Wenn am Anfang des Übens Ihre Komfortzone vielleicht nur in einfachen Stücken bestand, die Sie sicher spielen konnten, so wird im Laufe der Zeit, je öfter Sie sich in die Lernzone begeben, Ihre Komfortzone deutlich größer und Sie fühlen sich irgendwann vielleicht sogar bei Mozart oder beim Freestyle-Jazz gut aufgehoben. Sie haben neue Erfahrungen gemacht und nicht alte Erfahrungen wiederholt. Damit haben Sie dazugelernt, womit wir wieder bei der Kompetenz wären.

Die Gefahrenzone – zum Sammeln ungeliebter Erfahrungen
Die dritte Zone ist die Gefahrenzone. Das ist der Bereich, wenn Sie vielleicht ein bisschen zu selbstbewusst über das Ziel hinausschießen und beispielweise nach drei Übungsstunden mit Ihrem Instrument vor großem Publikum auftreten wollen. Sobald Sie auf der Bühne stehen und Ihnen bewusst wird, was Sie da vorhaben, garantiere ich Ihnen, dass Sie möglichst schnell wieder auf Ihre Couch in der Komfortzone möchten. Ihr Gehirn schaltet auf Notfall. Der Adrenalinspiegel steigt und der Urinstinkt „Kampf oder Flucht“ kommt auf.

Im schlimmsten Fall droht Panik. Lernen oder Kompetenzerweiterung in einem solchen Fall? Fehlanzeige. Hier kann Lernen so gut wie gar nicht stattfinden. Die Gehirnbereiche für das Lernen sind überreizt. Was bleibt, ist zwar auch eine Erfahrung – aber sicherlich keine, die Sie unbedingt wiederholen möchten.

Also raus aus der Komfortzone, rein in die Lernzone und neue Erfahrungen machen. Das (Arbeits)Leben ist bunt und vielfältig.

■ Silvia Wiefel

IGU e. V.