2/2021 Veränderungsprozesse – ein Wechselbad der Gefühle

Wir alle erleben tagtäglich Veränderungsprozesse. Manchmal sind sie von uns aktiv angestoßen, manchmal von anderen Menschen und manchmal brechen sie über uns herein, wie zum Beispiel die Coronapandemie.
Wenn Unternehmen Veränderungen einleiten, ist das in vielen Fällen mit Widerständen verbunden. Doch was passiert eigentlich mit uns, wenn wir (ungewollte) Veränderungsprozesse durchlaufen? Welche psychologischen Mechanismen laufen ab? Der schwedische Psychologe Claes F. Janssen hat hierzu in Anlehnung an die Change-Kurve der bekannten Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross ein sehr eingängiges Modell entwickelt: das Haus der Veränderung. Dieses Modell betrachtet im Kern die Gefühlszustände, die jemand durchlebt, der/die sich in einem Veränderungsprozess befindet.
Ein Beispiel: Die neue Software
Nehmen wir als Beispiel einen Veränderungsprozess dergestalt, dass in einem Unternehmen eine neue Software eingeführt wird, die einen langjährigen Prozess automatisiert.
Aus Sicht der von der Veränderung betroffenen Mitarbeitenden stellt dies möglicherweise eine völlig unnötige Investition dar, denn „es läuft ja alles“. Das Zimmer der Zufriedenheit, des gewohnten Ablaufes, ist ein sehr bequemes Zimmer.
Nun mehren sich aber die Zeichen, dass diese Software dennoch eingeführt werden soll. Erste Stimmen werden laut, die diese Zeichen herunterspielen (Verleugnung) oder sich vehement gegen die Anschaffung aussprechen (Ablehnung). Der nächste Schritt vom Zimmer der Zufriedenheit in das Zimmer der Verleugnung/Ablehnung ist damit getan.
Nun kann man verleugnen oder ablehnen, irgendwann wird klar, dass sich definitiv etwas ändern wird (die Software ist gekauft). Die Betroffenen sind verwirrt, weil der alte Status quo nicht mehr gehalten werden kann und eine Veränderung unausweichlich ist. Fragen tauchen auf. „Wie sollen die neuen Prozesse aussehen?“ „Werde ich mit der Software umgehen können?“ Ein Gefühl des Verlustes (das gute „Alte“ geht verloren) und der Unsicherheit macht sich breit. Willkommen im Zimmer der Verwirrung.
Elisabeth Kübler-Ross hat in ihrer Change-Kurve diesen Zustand übrigens als „Tal der Tränen“ bezeichnet. Doch keine Angst. Dieses Tal der Tränen ebnet den Weg in das Zimmer der Erneuerung. Durch Akzeptanz der Veränderung, Hinzugewinnen von neuen Kompetenzen (die Software ist ja doch kein Buch mit sieben Siegeln) und Zurückgewinnen von Kontrolle steigt die Zufriedenheit, so dass dann das „Neue“ irgendwann das „Gewohnte“ wird und man den Übergang ins Zimmer der Zufriedenheit geschafft hat.
Zusätzlich werden oft noch Zimmer wie der Sonnenbalkon oder der Kerker der Ablehnung und das Loch der Erstarrung (Paralyse) benannt, welches extreme Ausprägungen einzelner Zimmer sind. Diese hier im Einzelnen aufzuführen, würde allerdings die Länge dieses Artikels sprengen.
Gefühle werden greif- und besprechbarer
Das Modell vermittelt ein grundlegendes Verständnis davon, was im Veränderungsprozess mit den Menschen passieren könnte. Wichtig ist dabei, Klarheit darüber zu haben, dass sich nicht alle Mitarbeitenden zeitgleich und in gleicher Ausprägung in einem Zimmer befinden. In der Regel ist es so, dass sie sich in verschiedenen Räumen aufhalten. Denn die Mitarbeitenden bringen eine unterschiedliche Grundhaltung gegenüber Veränderungsprozessen mit oder erleben die Begleitung durch die Führungskräfte auf verschiedene Art und Weise. Auch die Übergänge in die Zimmer sind manchmal fließend, oft befinden sich die Menschen, die Veränderungsprozesse erleben, in einer Art Übergangszustand zwischen den Zimmern.
Dennoch hilft die Auseinandersetzung mit dem Modell, um sich auf die zu erwartenden Dynamiken im Veränderungsprozess einzustellen. Das Modell ist intuitiv begreifbar und einfach und ermöglicht so den Unternehmern/Führungskräften, schnell mit ihren Mitarbeitenden zu einem gemeinsamen Verständnis zu kommen.
Durch die bildliche Darstellung der Gefühlszustände mit Räumen fällt es vielen Betroffenen leichter, ihre Gefühle in Worte zu fassen und damit auch greifbarer und besprechbarer zu machen.
Allein die Erkenntnis, dass dieses Gefühls-Wirrwarr ein normaler Prozess ist, den fast jede/r durchläuft (übrigens auch Führungskräfte), nimmt oft etwas von dem Druck, den eine ungewollte Veränderung auslöst. Denn wenn wir es nüchtern betrachten, können wir uns Veränderungen selten entziehen, aber wir können sie häufig gestalten.
Um es mit den Worten des griechischen Philosophen Heraklit zu beschreiben: „Die einzige Konstante im Universum ist die Veränderung.“

■ Silvia Wiefel

IGU e. V.