4/2020 Alles Home-Office, oder was? Ein Plädoyer für das Vertrauen

Mobiles Arbeiten wirkt sich insbesondere auf die Arbeitszufriedenheit positiv aus. Das zeigt eine Studie der Deutschen Gesellschaft für Personalführung (DGFP), bei der im Jahr 2016 weit über 600 Beschäftigte befragt worden sind – überwiegend aus dem Management, der Geschäftsführung und dem Personalressort. Interessant: Mehr als die Hälfte der Studienteilnehmer bescheinigen den Beschäftigten zugleich eine verbesserte Arbeitsleistung. Und nur drei Prozent sprechen von einer Verschlechterung.

Wer hätte vor einem Jahr gedacht, dass halb Deutschland im Jahr 2020 im Home-Office sitzt? COVID-19 hat uns alle vor ganz neue Herausforderungen gestellt. Plötzlich war Home-Office in aller Munde und für Tätigkeiten möglich, für die es vorher (angeblich) undenkbar gewesen ist. Technische Infrastruktur wurde in kürzester Zeit aus dem Boden gestampft, sofern es sie nicht vorher schon gegeben hat. Organisationelle Rahmenbedingungen erfuhren ebenfalls in kürzester Zeit eine Anpassung: So wurde das wöchentliche Teammeeting zur Telefon- oder Videokonferenz – und allenfalls der Kaffee aus dem eigenen Kaffeeautomaten stand im Raum, nicht aber Kolleginnen und Kollegen. Im günstigsten Fall konnte man in die Gesichter der anderen schauen, im schlechtesten Fall konnte man sie nicht mal hören, weil die Internettelefonie wegen COVID-19-Überlastung in die Knie gezwungen worden war.

Wir sind jetzt Profis – in vielerlei Hinsicht
Mittlerweile lächeln wir fast alle über diese Startschwierigkeiten. So, wie wir zu Profis im Maskentragen geworden sind, sind wir auch zu Profis in Telefon-, Teams-, vitero-, GoToMeeting- oder Zoom Konferenzen geworden. Und wir haben festgestellt: Es läuft. Bandbreiten wurden angepasst. Sicherheitsstandards in den Softwareprodukten ebenfalls. Nicht zuletzt auch wir als NutzerInnen haben uns angepasst. Home-Office und virtuelle Meetings sind die neue Normalität.

Letzte Woche haben wir in unserem Team ein Projekt abgeschlossen, in dem von Beginn an nur virtuelle Meetings stattfanden, und die Ergebnisse können sich definitiv mehr als sehen lassen. Unser Stolz darüber würde Mitarbeitenden in international agierenden Konzernen allenfalls ein müdes Lächeln entlocken, denn bei ihnen gehört das längst zum Alltag. Nun aber setzt sich diese Art der Zusammenarbeit auch in den Branchen und Betrieben durch, die bisher eher auf Präsenz gesetzt haben.

Motivierende Führung baut auf Vertrauen
Dennoch fällt es nicht allen leicht, sich auf diese neue Realität einzustellen. Bei Gesprächen mit Führungskräften erfährt man die gesamte Bandbreite von Begeisterung für diese neue Flexibilität bis hin zu Unsicherheit über einen möglichen Kontrollverlust über die Mitarbeitenden.

Vertrauen als Basis für ein funktionierendes Miteinander fällt nicht allen leicht. Möglicherweise geistert in den Köpfen immer noch das alte Klischee herum, dass im Home-Office nur Hausarbeit erledigt wird. Möglicherweise hat es aber auch etwas mit dem Erleben von Führung zu tun. Klassische Führung hatte eher etwas von „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ und „das Steuer in der Hand halten“. Was die Führungskräfte nicht erst seit COVID-19, sondern durch die fortschreitende Digitalisierung in den letzten Jahren feststellen, ist, dass Führung so nicht mehr funktioniert. Ein entscheidender Faktor für eine funktionierende, motivierende Führung ist Vertrauen. Vertrauen darauf, dass Mitarbeitende im Sinne der Führungskräfte handeln. Geschieht dies, können auch die Führungskräfte ihre weiteren Planungen und Schritte darauf aufbauen, so wie Zahnräder, die ineinandergreifen.

Blicken Sie auf die Möglichkeiten
Mittlerweile gibt es einige Studien (unter anderem die oben zitierte von der Deutschen Gesellschaft für Personalführung), die die positiven Effekte des mobilen Arbeitens anschaulich verdeutlichen. Nun könnte man einwenden, dass diese Studien ja immer sehr abstrakt sind, man selbst aber Mitarbeiter XY hat, bei dem man definitiv weiß, dass er nicht fürs Home-Office geeignet ist. Das mag sein, aber auch das muss besprechbar gemacht werden. Auch hier ist gegenseitiges Vertrauen eine unabdingbare Basis.
Mit dieser Begründung der Nichteignung eines/einer Einzelnen das ganze Konstrukt Home-Office in Frage zu stellen, ist gleichermaßen so, als würde man ein Gerichtsurteil ohne vollständige Beweiserhebung fällen.

Richten Sie Ihren Blick doch einmal in die andere Richtung und auf das, was hervorragend läuft, und auf die Möglichkeiten, die diese neue Flexibilität bietet, und vertrauen Sie darauf, dass Sie die Kontrolle nicht verlieren. Da COVID-19 uns leider noch eine Weile begleiten wird, müssen wir uns alle mit dieser Situation arrangieren und vertrauensvoll bleiben.
Viel Erfolg dabei!

PS: Dieser Artikel wurde im Home-Office geschrieben.
 ■ Silvia Wiefel

IGU e. V.