1/2020 Recruiting 4.0: Was können KI und Social Ads wirklich?

Der Fachkräftemangel ist in aller Munde. Wie findet man als kleines oder mittleres Unternehmen in der heutigen Zeit überhaupt neue Mitarbeitende? Haben die klassischen Wege ausgedient? Unsere Autorin Silvia Wiefel klärt dies im Interview mit der Social-Media-Expertin Kristin Mattheis.

Frau Mattheis, bei Ihrer Tätigkeit im Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen e.V. (iGZ) haben Sie viel mit kleinen und mittleren Unternehmen zu tun. Was sind aus Ihrer Sicht die zentralen Herausforderungen, was das Thema Fachkräftemangel angeht?
Für unsere kleinen und mittelständischen Unternehmen im Verband sind sowohl die Digitalisierung als auch der leergefegte Arbeitsmarkt riesige Herausforderungen. Die Unternehmen müssen sich mit digitalen Kommunikationsstrategien auseinandersetzen, um die Fachkräfte, die es noch gibt, irgendwie zu erreichen. Der Bewerbermarkt hat sich zu einem Arbeitgebermarkt entwickelt. Fachkräfte brauchen mittlerweile keine Bewerbungen mehr zu schreiben, weil die Unternehmen sogenanntes Active Sourcing betreiben: Die Firmen versuchen von sich aus, mit vielversprechenden Kandidaten vom externen Arbeitsmarkt in Kontakt zu treten – indem sie sie über ihre Social-Media- beziehungsweise Business-Profile ansprechen.

Funktionieren für kleine und mittlere Betriebe denn dann überhaupt noch die klassischen Wege zur Gewinnung von Mitarbeitenden?
Wo man früher eine Zeitungsanzeige schaltete und viele gute Bewerbungen erhielt, muss der Recruiter von heute ganz neu denken: Welcher digitale Kanal ist für welche Zielgruppe der richtige? Wie spreche ich Generation Y and Z, also diejenigen, die ab 1980 geboren sind, überhaupt an? Und noch wichtiger: Wie kann ich mich als attraktiver Arbeitgeber im Netz verkaufen? Der „War for Talents“ ist da und Lösungen sind gefragt! Die klassischen Wege, wie die bereits erwähnte Zeitungsanzeige, funktionieren da eher weniger.

Können Sie noch etwas näher auf denkbare digitale Lösungen eingehen?

Die E-Recruiting-Welt ist wirklich bunt und vielfältig geworden: Einige Unternehmen setzen auf ihre eigenen Social-Media-Auftritte im Netz und sprechen Kandidaten direkt und persönlich an. Das besagte Active-Sourcing Prinzip hat Erfolg, denn mittlerweile gibt es laut einer Stepstone-Studie 33 Prozent aktiv Suchende und 33 Prozent wechselwillige Kandidaten auf dem Arbeitsmarkt. Die zweite Gruppe ist relevant und wichtig.

Andere setzen auf Matching-Apps wie Truffls. Bei diesem „Tinder for Jobs“ werden Stellenausschreibungen von Unternehmen mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz mit passenden Kandidatenprofilen online zusammengebracht. Mit einem Wisch kann dann der User entscheiden, dass die Stelle interessant ist, und das Unternehmen ruft direkt an.

Das Interesse an Online-Portalen wie monster, stepstone, indeed und Co. nimmt seit Mai letzten Jahres, dem Start von Google for Jobs, massiv ab. Google schaltet seine Jobanzeigen in einem blauen Kasten über den zahlreichen Online Stellenbörsen und wird damit viel stärker und schneller wahrgenommen. Die Maßgaben für Stellenausschreibungen haben sich damit auch verändert, denn Google verlangt Daten und Transparenz. Ohne Vorteile des Jobangebots, Datum und Gehaltsangaben in Pflichtfeldern kann die Anzeige gar nicht online gehen.

Gibt es auch Stolperfallen beim E-Recruiting?
Es wurde beispielsweise vor Kurzem diskutiert, ob Social Ads, also maßgeschneiderte Online-Werbeanzeigen auf Facebook, diskriminierend sind, weil sie Zielgruppen extra ausschließen. Dazu sagen unsere iGZ-Arbeitsrechtler, dass „das bloße Platzieren oder Ausrichten einer für sich wertneutralen Stellenanzeige AGG-konform sein muss. Es ist daher eine Grenzziehung zwischen erlaubter Fokussierung auf bestimmte Personen und diskriminierender Ausgrenzung anderer notwendig.“ Hier wäre es am besten, die größtmögliche Spanne zu wählen, damit niemand diskriminiert wird. Facebook hat inzwischen einige Kriterien aus diesem Grund angepasst und gelöscht.

Mit diesen digitalen Tools ergeben sich ja vielfältige Möglichkeiten. Welche Erfahrungen haben Ihre Mitgliedsunternehmen damit schon gesammelt?
Unsere Zeitarbeitsfirmen nutzen sehr stark Online-Ads bei Google und Facebook sowie Instagram und erzielen damit gute Erfolge, die man auch messen kann. Innerhalb von einer Woche können so schnell und einfach Kandidaten gefunden und angesprochen werden. Wir sind die Generation Smartphone und auch dort erreichbar, deshalb sollten Unternehmen schauen, wo ihre Kunden online sind, und sich dort hinbewegen. Das können auch Foren wie eBay-Kleinanzeigen oder Fachportale sein.

Und wie setzen die Unternehmen das in der Praxis um? In der Regel besteht ja bei kleinen Betrieben keine große Personalabteilung.
Das stimmt. In vielen Betrieben, in denen keine eigene Personalabteilung existiert, wird das Recruiting durch die Verwaltungskräfte oder den Inhaber beziehungsweise Geschäftsführer ausgeführt. Unsere Zeitarbeitsunternehmen sind da natürlich spezialisiert, müssen sich aber auch um viele andere Dinge wie Arbeitsrecht, Integration von Geflüchteten und Weiterbildung kümmern.
Dennoch ist es auch für kleine und mittlere Unternehmen möglich, über die genannten digitalen Kanäle ein zeitgemäßes Recruiting zu bewerkstelligen.

Abschließend gefragt: Wie intensiv befassen sich Recruiter bereits damit, einen Überblick über all die neuen digitalen Möglichkeiten zu bekommen?
Der Weiterbildungsdruck ist sehr hoch. Beim iGZ gibt es viele Seminare und Webinare zum Thema E-Recruiting und Social-Media-Kommunikation, was auch sehr gut angenommen wird.

Vielen Dank Frau Mattheis, das klingt alles sehr spannend und herausfordernd für kleine und mittlere Unternehmen. Ich bin mir aber sicher, dass unsere Leser durch Ihre Tipps schon gute Impulse bekommen haben, um sich in dem Dschungel der Angebote ein wenig besser zurechtzufinden.

■ Silvia Wiefel

IGU e. V.