Kennen Sie das Zitat: „Die Scheu vor Verantwortung ist eine Krankheit unserer Zeit“? Es wird Otto von Bismarck zugeschrieben.
Wie wir wissen, hat der gute Herr von Bismarck im 19. Jahrhundert gelebt, dennoch hören wir heute oft die gleiche Klage. Unternehmer und/oder Führungskräfte beklagen sich darüber, dass ihre Mitarbeitenden keine Verantwortung übernehmen.
Es scheint also gar nicht so einfach zu sein, Menschen in Verantwortung zu bringen. Ist es tatsächlich so und wenn ja, warum? Und was assoziieren wir eigentlich mit dem Wort Verantwortung?
Auf der einen Seite sicherlich Aspekte wie Last, Pflicht, Bürde, Angst vor Fehlern etc. Auf der anderen Seite könnten es aber auch Aspekte wie Handlungsspielraum, Freiheit, Leistung, Anerkennung sein. Also auf den ersten Blick völlig gegensätzliche Perspektiven.
Motivierender für unser tägliches Arbeitsleben sind sicherlich die letztgenannten Aspekte. Überträgt man Verantwortung, ist das ein Zeichen der Anerkennung der Leistung. Die Fähigkeiten werden geschätzt und es wird Vertrauen in die Person gelegt, der man die Verantwortung überträgt. Doch wie kann man erreichen, dass Mitarbeitende Lust auf Verantwortungsübernahme bekommen?
Hier gibt es sicherlich kein Patentrezept, da wie bei vielen Themen auch hier unterschiedliche Faktoren, wie z. B. Erziehung, Sozialisation etc. auf die Grundeinstellung zur Verantwortungsübernahme einwirken. Ist jemand es z. B. von Kindesbeinen an gewöhnt, dass erst die Eltern, dann Partner/in, Chef/in oder andere nahestehende Menschen immer für ihn/sie in die Bresche springen, hat der- oder diejenige möglicherweise Probleme mit der Übernahme von Verantwortung, da es bis dato ja immer Menschen gab, die das übernommen haben.
◗◗ Fragen Sie sich einmal selbstkritisch: Was haben Ihre Mitarbeitenden davon, wenn sie in Ihrem Unternehmen Verantwortung übernehmen? Wie zeigt sich das im Arbeitsalltag? Selbst, wenn in kleineren Unternehmen keine umfangreichen Aufstiegsperspektiven geboten werden können, so gibt es durchaus Möglichkeiten, die Verantwortungsübernahme durch die Mitarbeitenden zu honorieren, z. B. durch Gewinnbeteiligungen. Einzig und allein darauf zu setzen, dass alle Mitarbeitenden intrinsisch motiviert sind, Verantwortung zu übernehmen, wäre sehr optimistisch.
◗◗ Herrscht zwischen allen Beteiligten Klarheit über die Rollen der handelnden Personen und darüber, welche Vollmachten/Freiheiten der/diejenige in der jeweiligen Position hat? Welche Handlungsspielräume gibt es überhaupt, in denen man die Verantwortung übernehmen kann? Gibt es Grenzen, bei denen dann die nächsthöhere Hierarchieebene entscheidet?
◗◗ Hat der/diejenige alle ausreichenden Informationen, die zur Erfüllung der Aufgabe oder zur Entscheidung erforderlich sind? Entscheidungsoptionen können nur dann abgewogen werden, wenn alle Informationen zur Verfügung stehen. Fehlen diese, entsteht Unsicherheit und diese kann nach außen hin als mangelnde Verantwortungsbereitschaft wirken.
◗◗ Wie sehen die Rahmenbedingungen aus? Wie ist die Fehlerkultur im Unternehmen? Nimmt man Fehler eher als Anlass zum Lernen, zum Verbessern oder als Anlass zum Sanktionieren? Ich meine hier nicht die Fehler, die ein Chirurg bei einer Herz-OP machen könnte, sondern die alltäglichen kleinen Fehler oder vielleicht auch Fehleinschätzungen, die man besten Wissens und Gewissens gemacht hat und die nicht gerade existenzielle Bedeutung für das Unternehmen haben.
Erleben die Beteiligten, dass ihnen trotz einer evtl. Fehleinschätzung nicht der Kopf abgerissen wird, sondern eher der Blick darauf gerichtet wird, was man aus dem Fehler nun lernen konnte, so wirkt sich das naturgemäß auch auf die Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme aus.
◗◗ Nutzen Sie die Motivation und Fähigkeiten der Beteiligten. Es gibt ein schönes Bild, in dem mehrere unterschiedliche Tiere in einer Reihe stehen (u.a. ein Elefant, ein Affe und ein Goldfisch) und für die Prüfung alle die gleiche Aufgabe bekommen, damit es fair zugeht. Sie sollen auf einen Baum klettern.
Dieses Bild veranschaulicht in lustiger und einfacher Weise, was im Arbeitsalltag leider oft passiert: Mitarbeitende werden häufig nicht nach ihren Fähigkeiten eingesetzt.
Haben Sie jemanden in ihrem Team, der sich z. B. dadurch auszeichnet ein hervorragender Logiker und sehr gradlinig denkender Mensch zu sein, werden Sie ihn wahrscheinlich nicht damit glücklich machen, das kreative Brainstorming für die Ausgestaltung des Betriebsfestes zu leiten. Er wird aber sicherlich gerne die Verantwortung dafür übernehmen, die logistischen Herausforderungen zu planen und das Budget zu überwachen.
So gibt es im Arbeitsalltag vielfältige Aufgaben und Situationen, in denen Ihre Mitarbeitenden gerne Verantwortung übernehmen werden, wenn sie ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten entsprechend eingesetzt werden.
Es lohnt sich, hier ein wenig Zeit zu investieren und einmal kritisch auf die Passung zwischen Aufgaben und Fähigkeiten der einzelnen MA zu schauen.
◗◗ Damit einhergehend ist ein weiterer wichtiger Aspekt das Vertrauen. Vertrauen Sie Ihren Mitarbeitenden und deren Fähigkeiten. Erleben diese das in sie gesetzte Vertrauen authentisch und wertschätzend, motiviert es zur Übernahme von Verantwortung.
Manchmal ist es jedoch einfach erforderlich, Verantwortung einzufordern, ohne Wenn und Aber und ohne 100 Prozent passende Rahmung, nämlich dann wenn der Zeitdruck es erfordert oder auch Not am Mann/an der Frau ist und die Aufgaben schnell delegiert werden müssen. Dennoch sollte auch in diesem Fall eine wertschätzende Kommunikation Grundlage des Gesprächs sein.
Als Fazit ist zu sagen, dass ein Grundgerüst von Wertschätzung, Vertrauen, Informationsfluss und guter Kommunikation eine gute Basis für die Übernahme von Verantwortung durch die Mitarbeitenden ist.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei dem verantwortungsvollen Aufbau dieses Grundgerüstes.
■ Silvia Wiefel