Hand aufs Herz. Welche Bilder haben Sie im Kopf, wenn Ihnen jemand etwas von Achtsamkeit erzählt? In vielen Diskussionen hört man die eine Fraktion, die von esoterischem Humbug spricht und die andere Fraktion, die vielleicht durch eigene Erfahrungen geprägt, das Thema Achtsamkeit vehement verteidigt.
Doch was bedeutet Achtsamkeit überhaupt?
Achtsamkeit ist eine Form von Aufmerksamkeit oder um es mit den Worten des Achtsamkeitsexperten Jon Kabat Zinn zu sagen: „Achtsamkeit bedeutet: auf eine bestimmte Weise aufmerksam zu sein, bewusst, im gegenwärtigen Augenblick und ohne zu urteilen.“
Bei dieser Gelegenheit noch ein, zwei kurze Fragen: Wissen Sie eigentlich noch, wie genau Sie heute zur Arbeit gekommen sind? Hiermit meine ich jetzt nicht das Verkehrsmittel, sondern eher alles, was so drum herum war, wie z. B. die Menschen an der Bushaltestelle, die Umgebung auf Ihrer Wegstrecke etc. Und wie hat eigentlich Ihr Frühstück geschmeckt? Ich meine so richtig geschmeckt, in einzelnen Nuancen? Könnten Sie es beschreiben oder gar nachfühlen? Wenn Sie diese Fragen beantworten können, sind Sie wahrscheinlich schon ein sehr achtsamer Mensch. In der Regel haben aber die meisten Menschen gerade bei sich wiederholenden Tätigkeiten eher den „Autopiloten“ an.
In unseren Breitengraden wurden die ersten wissenschaftlichen Studien zum Thema Achtsamkeit in den 70er Jahren durchgeführt. Einige Aspekte aus der Achtsamkeit, die ursprünglich im Buddhismus beheimatet war, hatten zu jener Zeit bereits Erfolge in verschiedenen Psychotherapieformen gebracht. Einen entscheidenden Einfluss hatte hier der o. g. Molekularbiologe Jon Kabat Zinn, der die Elemente in Achtsamkeitstrainings zunächst bei Patienten mit chronischen Schmerzen anwandte. Im Laufe der Jahrzehnte erweiterte sich aufgrund der wissenschaftlich nachweisbaren Erfolge das Einsatzspektrum für Achtsamkeitstechniken.
Die Elemente des Achtsamkeitstrainings sind Meditationen, Körperwahrnehmungsübungen und Alltagsrituale, was tatsächlich auf den ersten Blick erst einmal esoterisch scheint, aber bei näherer Betrachtung der Wirkmechanismen unseres Gehirns Sinn macht.
Diese Techniken hier im Einzelnen aufzuführen, würde den Umfang des Artikels leider deutlich sprengen. Im Internet finden sich vielfältige Übungsanleitungen, die es Einsteigern leicht machen, sich mit dem Thema intensiver zu beschäftigen. Die sicherste Methode ist allerdings, bei einem erfahrenen Achtsamkeitstrainer ein Seminar zu buchen. Diese Seminare werden im Rahmen von Präventionsprogrammen sogar von einigen Krankenkassen bezuschusst.
Doch wie hilft uns das jetzt im Alltag weiter?
Nehmen wir einmal den Aspekt der Fokussierung. Es fällt uns aufgrund der vielfältigen Anforderungen, die täglich und vor allem oft gleichzeitig auf uns einprasseln immer schwerer, uns auf eine Sache zu fokussieren.
Multitasking ist in aller Munde, doch unser Gehirn ist nicht dazu fähig, zwei Dinge auf einmal, also wirklich gleichzeitig zu tun. Wir haben zwar das Gefühl, dass wir zwei Dinge gleichzeitig tun (z. B. den Kaffee trinken und dabei Mails lesen), aber das Gehirn hat die Fähigkeit, blitzschnell zwischen diesen Dingen hin- und her zu schalten. Dies geschieht zwar so schnell, dass wir es nicht wahrnehmen, geht aber auf Kosten unserer Leistungsfähigkeit. Die Fehleranfälligkeit ist erhöht, die Effizienz sinkt und Stress ist die Folge.
Achtsamkeitstechniken lenken unsere Aufmerksamkeit auf das Hier und Jetzt und trainieren uns dazu, das was wir wahrnehmen, bewusster wahrzunehmen. Zu fokussieren, zu spüren, zu riechen, zu schmecken und zu fühlen.
Neben der bewussten Wahrnehmung lehren die Achtsamkeitstechniken, das Wahrgenommene nicht zu bewerten. Und genau hier liegt ein Kern-, aber auch ein Knackpunkt der Achtsamkeit. Wir alle sind geprägt durch unsere früheren Erfahrungen, Erziehung und Glaubenssätze, die uns vermittelt wurden. Eine wertfreie Betrachtung einer Situation ist daher sehr schwierig, da auch dort unser Autopilot ständig Interpretationen liefert.
Ist einmal eine Interpretation für eine Situation und/oder für Handlungen gefunden, entwickelt sich diese schnell zu einem verfestigten Denkmuster, denn unser Gehirn „kennt“ ja diese Situation, diese Handlung. Leider sind diese Denkmuster auch des öfteren negativ, so nach dem Motto „immer“ drückt sich Kollege Meier vor Sonderaufgaben, „immer“ springt die Ampel auf rot und „immer“ ist meine Warteschlange die langsamste. Hier hilft uns das Achtsamkeitstraining, diese Denkmuster zu erkennen und zu hinterfragen und wertfrei wahrzunehmen. Hierdurch kommen wir auch unseren Gefühlen auf die Spur, die uns in bestimmten Situationen mal mehr oder weniger überfallen. Im Laufe der Zeit werden Sie sich dadurch immer besser kennenlernen und bewusst und wertfrei wahrnehmen, auf welche Art Sie in bestimmten Situationen reagieren.
Das kann durchaus manchmal unangenehm sein, denn auch negative Gefühle werden ja erst einmal zugelassen, betrachtet und nicht sofort wieder zugeschüttet. Mit der Zeit lernt man den Umgang mit diesen Gefühlen, was wiederum zu mehr Gelassenheit, größerer Widerstandsfähigkeit und weniger Stress führt.
Die größte Herausforderung bei allem ist, die Techniken dauerhaft in den Alltag zu integrieren. Hierbei ist kein sportlicher Ehrgeiz gefragt. Auch die Minutenmeditation oder die kleine Körperübung ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Wie kann uns Achtsamkeit auch im Berufsalltag nun helfen?
In Summe, mehr Fokus, weniger Stress, mehr Kenntnis über uns selbst und konfliktfreiere Kommunikation. Wenn das kein guter Grund ist, sich mit dem Thema Achtsamkeit etwas tiefer zu beschäftigen. Setzen Sie sich nicht unter Druck, aber bleiben Sie am Ball.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg und werde jetzt, bevor ich weiterarbeite noch einmal intensiv und achtsam an meinem hervorragend duftenden Früchtetee riechen, bevor ich mich fokussiert weiter an die Arbeit begebe.
■ Silvia Wiefel