1/2012 Schadensregulierung bei Massenunfällen

Unfälle, bei denen eine Vielzahl von Fahrzeugen beteiligt ist, erregen bundesweit sofort große Aufmerksamkeit. Dies liegt sicherlich insbesondere daran, dass sich ein solches Geschehen von den alltäglichen Kleinunfällen mit reinen Blechschäden abhebt.

Massenunfälle ereignen sich meist im Winter bei Glatteis oder Schnee, oder auch bei Nebel, wie der jüngste Fall vom 18. November 2011 zeigt.
Fast immer sind bei solchen Unfällen leider auch Todesopfer zu beklagen, da eben die Fahrzeuge wegen der Häufigkeit der einzelnen Kollisionen sich teilweise förmlich zu einem einzigen Haufen zusammenschieben. Es ist dann oftmals schwer zu sagen, was noch zu dem einen und was schon zu dem anderen Fahrzeug gehört. Zudem kommt es vor, so zuletzt auch auf bei dem Unfall auf der A31 bei Gronau-Heek, dass Fahrzeugführer oder Insassen ihr Fahrzeug verlassen um etwa Hilfe zu leisten. Sie realisieren dabei nicht, in welcher höchsten Gefahr sie sich befinden, wenn sie sich nicht unverzüglich hinter die Schutz bietenden Leitplanken begeben.

Oft können Unfallhergang und Verschuldensanteile der Beteiligten nicht mehr rekonstruiert werden. Das erschwert die Schadensregulierung nach einem Massenunfall. Die deutschen Kfz-Haftpflichtversicherer führen daher in bestimmten Situationen unter der Regie des GDV (Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V.) eine vereinfachte Schadensregulierung durch.

Aber wann genau liegt ein Massenunfall vor, und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die daran Beteiligten? Dies soll im Folgenden dargestellt werden.

Es gibt keine starre Grenze, wann ein Unfall zu einem Massenunfall wird, der unter der Regie des GDV reguliert wird. Stets liegt ein Massenunfall vor, wenn mindestens 50 Fahrzeuge bei einem zusammenhängenden Unfallgeschehen beteiligt waren. Aber bereits ab 20 beteiligten Fahrzeugen kann ein Unfall zu einem Massenunfall qualifiziert werden, wenn besondere Verhältnisse dieses erfordern, zum Beispiel bei sehr schwer aufzuklärendem Unfallhergang. Die Entscheidung hierüber wird von der jeweils regional zuständigen Lenkungskommission getroffen, die sich aus fachkundigen  Vertretern verschiedener Kraftfahrzeugversicherer zusammensetzt.

Einen wichtigen ersten Beitrag leistet die Polizei, die im Regelfall sehr zeitnah am Ort des Geschehens ist und einen ersten Eindruck vom Schweregrad des Geschehens und der Anzahl  beteiligter Fahrzeuge gewinnt. Sie soll über den Vorfall an den zentralen Notruf der Autoversicherer eine entsprechende Information absetzen, damit frühzeitig auch eine Entscheidung von der Lenkungskommission getroffen werden kann, ob tatsächlich ein Massenunfall vorliegt und welcher bzw. welche Versicherer die Regulierung durchführen.

Soweit ein Massenunfall in Betracht kommt, soll die Polizei die Beteiligten schon am Unfallort wegen der weiteren Schadensabwicklung an den GDV verweisen. Dafür sollen an den Autobahn- Polizeidienststellen auch Broschüren des GDV zu Massenunfällen zur Aushändigung an Beteiligte vorgehalten werden, aus denen die Kontaktdaten des GDV nebst Rufnummer für telefonische Anfragen hervorgehen. Über diese Anfrage beim GDV erfährt der Beteiligte dann konkret, ob  überhaupt eine gemeinsame Regulierungsaktion erfolgt, also ein echter Massenunfall vorliegt, und er erfährt, welcher Versicherer mit der Regulierung betraut wurde.

Wenn ein Massenunfall vorliegt oder wegen der Anzahl der beteiligten Fahrzeuge zu einem solchen erklärt wurde, dann werden ein oder mehrere Versicherer bestimmt, die mit der Regulierung im Namen aller dem GDV angeschlossenen Versicherer beauftragt werden. So reguliert zum Beispiel die LVM Versicherung den Massenunfall vom 18. November 2011 auf der A31.

Diese Vorgehensweise soll eine möglichst einheitliche, schnelle und reibungslose Abwicklung für die Beteiligten gewährleisten. Regelmäßig dauern die amtlichen Ermittlungen mehrere Monate und oftmals lässt sich der konkrete Ablauf im Detail nicht mehr rekonstruieren.
Bei der gemeinsamen Regulierungsaktion wird in einem vereinfachten Verfahren nach objektiven Kriterien (vor allem dem Schadensbild an dem jeweils beteiligten Fahrzeug) eine quotenmäßige Regulierung der Fahrzeug- und ggfs. auch der Personenschäden vorgenommen. Mit einem ungekürzten Schadenersatz kann dabei nur rechnen, wessen Fahrzeug alleine einen Heckschaden aufweist. Im Übrigen wird nur ein teilweiser Ersatz in Betracht kommen. Ausnahmen gelten für die  Schäden von Insassen, die nicht selbst Fahrer des beteiligten Fahrzeugs waren. Diese werden  konkret nach Sach- und Rechtslage reguliert.

Die Regulierung nach pauschalierten Quoten mag auf den ersten Blick ungerecht erscheinen, ist aber sachgerecht, praxistauglich und im Ergebnis oftmals sogar entgegenkommend. Dabei muss man sich nochmals vor Augen führen, dass mit dieser  Vorgehensweise eine sehr schnelle Regulierung ermöglicht wird, die anderenfalls Monate dauern könnte. Ferner ist zu berücksichtigen, dass auch in einem Zivilverfahren der Unfallbeteiligte den sogenannten Vollbeweis führen müsste, dass und welcher der anderen Beteiligten seinen Schaden  tatsächlich verursacht hat. Dies wird aber regelmäßig nicht möglich sein. Im Zweifel würde dann der Unfallbeteiligte vor Gericht wegen Beweisschwierigkeiten sogar mit jeglichen Ansprüchen scheitern können, während er nach der Regulierungsaktion des GDV immerhin regelmäßig mit einer anteiligen Erstattung rechnen kann.

Zudem steht es den Beteiligten letztlich frei, ob sie an der gemeinsamen Regulierungsaktion teilnehmen oder nicht. So mag jeder Beteiligte für sich abwägen, ob er sich bei unklarem Hergang und regelmäßig schwieriger Beweislage mit einem eventuell gekürzten Schadenersatz zufrieden gibt  oder aber stattdessen versucht, den vermeintlichen Schädiger zu ermitteln und diesen unmittelbar in Anspruch zu nehmen. Es dürfte im Ergebnis in jedem Fall ratsam für die Beteiligten sein, sich zunächst einmal an der Regulierungsaktion zu beteiligen und abzuwarten, welcher Schadenersatz danach zugestanden wird. Sollte das Ergebnis unbefriedigend sein, kann immer noch entschieden werden, den vermeintlichen Schadensverursacher wegen des Restschadens direkt in Anspruch zu nehmen.

Wichtig für die Beteiligten ist, dass der Schadenfreiheitsrabatt des eigenen Kfz-Vertrages nicht belastet wird, soweit nur Leistungen nach der gemeinsamen Regulierungsaktion erfolgen.

■ Olaf Gerstmann

IGU e. V.