1/2019 „Das war schon immer so…“

Kennen Sie das? Sie kommen morgens in Ihre Firma und die Anforderungen des Tages prasseln auf sie ein. Mitarbeitende möchten Entscheidungen von Ihnen, Kunden warten auf Rückruf und die neueste Gesetzesänderung, die ihre Branche betrifft, möchte auch bearbeitet werden. Die Auftragsbücher sind (hoffentlich) voll und das Leben nimmt seinen gewohnten Gang. Das ist ja nichts Neues, werden sie sicherlich denken. Das war ja schon immer so.

Doch bleibt es auch so? Wir bewegen uns in einem Zeitalter, wo dieses „das war schon immer so“ gehörig auf den Prüfstand gestellt wird. Tagungsprogramme und Fachzeitschriften sind voll von Themen, die sich mit den Veränderungen durch die Digitalisierung ergeben. Welche davon tatsächlich eintreten werden, werden wir erst in Zukunft wissen. Eines kann man aber mit ziemlicher Sicherheit schon jetzt sagen: Mit dem Zeitalter der Digitalisierung ergeben sich für Firmeninhaber oder Führungskräfte immer neue Anforderungen in der Führung der Mitarbeitenden, die mit Methoden von klassischen Führungsmodellen nicht mehr oder nur eingeschränkt bewältigt werden können.
Da es sich oft um ambivalente Spannungsfelder handelt, die mit großen Unsicherheiten und wenig Planbarkeit einhergehen, kann der Umgang mit diesen Spannungsfeldern eine echte Herausforderung sein.

Spannungsfelder wie zum Beispiel:
◗◗ Wettbewerbsfähigkeit vs. Kostendruck
◗◗ Kurzfristiger Profit vs. langfristigem Erfolg
◗◗ Dynamik/Innovation vs. Sicherheit

machen deutlich, dass es für Unternehmenslenker schwierig ist, ein Patenrezept zur Lösung in einem Marktumfeld zu finden, in dem Fünf-Jahres-Pläne schon morgen durch disruptive Innovationen überholt sein könnten.
Nicht jeder der Mitarbeitenden und Führungskräfte kommt mit der Schnelligkeit der Veränderungen mit. Es gibt häufig eine große Bandbreite hinsichtlich der digitalen Kompetenzen oder auch hinsichtlich der Veränderungsbereitschaft der
Einzelnen.
Insbesondere den sog. Generationen Y und Z (geboren ab den späten 80er Jahren), die mit offener Kommunikation, mit Share-Economy und der Möglichkeit der jederzeitigen Beschaffung von Informationen aufgewachsen sind, wird nachgesagt, dass sie sich nicht damit abspeisen lassen, dass ihnen getroffene Entscheidungen nur mitgeteilt werden und sie diese auszuführen haben.

Diese Generationen möchten das „Warum“ wissen, möchten wissen, wie es zu diesen Entscheidungen gekommen ist und möglichst vorab in die Entscheidungen eingebunden sein. Diese Form der Mitbestimmung kann man gut bei vielen Start-up-Unternehmen beobachten.
Die Führungskraft von heute muss den Weg in die digitale Welt als Vorbild vorleben und ist damit oft selbst überfordert. Althergebrachte Führungsrollen als „Macher“ und „Bestimmer“ gelten in vielen Bereichen als überholt. Führungsrollen werden definiert mit Attributen wie Begleitende, Innovationstreiber und Ermöglicher.
Doch was bedeutet dies konkret? Im Idealfall nehmen Sie die Fähigkeiten ihrer Mitarbeitenden wahr und versuchen sie bestmöglich einzusetzen und zu entwickeln. Sie verstehen sich als Netzwerker und Visionär.
Gleichzeitig müssen Sie sich immer wieder auf neue Gegebenheiten und Änderungen im Marktumfeld einstellen und müssen natürlich auch die betriebswirtschaftlichen Aspekte gut im Blick behalten. Dies alles in einem Umfeld von hervorragend informierten Kunden, Wettbewerbern und auch Kritikern.
Die Anspruchsgruppen erstarken und wer jemals einem Shitstorm ausgesetzt war, wird dem uneingeschränkt zustimmen. Die Digitalisierung bringt auch neue Formen der Teamarbeit mit sich. Die Arbeit in virtuellen Teams oder der häufige Wechsel von Präsenz und mobilem Arbeiten, wie z. B. im Homeoffice, erfordern neue Wege der Kommunikation.
Auch das erfordert ein anderes Führungsverhalten, als wir es bei den klassischen Arbeitsmodellen mit einer physischen Anwesenheit von ca. 8 Stunden gewohnt sind.
Angesichts dieser vielen Neuerungen ist es nicht verwunderlich, dass viele Unternehmenslenker und Führungskräfte das Gefühl haben, dass sie vor einem unüberwindbaren Berg von Herausforderungen stehen. Wird doch das Gewohnte und oft jahrzehntelang Praktizierte auf einmal über den Haufen geworfen. In einigen Branchen geschieht dies mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit, während andere Branchen scheinbar kaum betroffen sind. Dies allerdings nur solange, bis die bereits erwähnte disruptive Innovation kommt.
Doch aus diesen auf den ersten Blick verwirrenden und scheinbar manchmal unlösbaren Umständen ergeben sich auch große Chancen.
Vertrauen Sie auf die Expertise Ihrer Mitarbeitenden und nutzen Sie deren Erfahrung. Das erfordert Vertrauen, schafft Ihnen aber auch Freiräume, Chancen und Möglichkeiten. Überlegen Sie, welche Aufgabe dafür geeignet ist, agile Methoden zu testen. Und dann trauen Sie sich auszuprobieren und zu lernen. Ihre Mitarbeitenden werden in die Entscheidungsfindung mit einbezogen und Sie erleben den „Kontrollverlust“ im Idealfall als Gewinn und profitieren von motivierten Mitarbeitenden. Legen Sie Regeln für die Zusammenarbeit in virtuellen Teams fest, z. B. wie Entscheidungen getroffen werden, wenn ein Teammitglied gerade offline ist; wie der zeitnahe Informationsaustausch erfolgen soll oder welches Verhältnis von Präsenz und virtueller Anwesenheit das Ideale für Sie und Ihre Mitarbeitenden ist. Gelingt dies, schafft es Freiräume und Flexibilität, die wieder auf die Zufriedenheit und Motivation der Mitarbeitenden einzahlen.
Es gibt sicherlich kein Patentrezept, wie die ideale Führung für Ihr Unternehmen aussehen soll, dennoch gibt es einige Kernkompetenzen, die Sie als Führungskraft im digitalen Zeitalter mitbringen sollten, und das sind: Die Fähigkeit zum Netzwerken, eine gute Kommunikationsfähigkeit, eine hohe Eigenverantwortlichkeit und ein agiles Mindset.
Mit diesen Fähigkeiten ausgerüstet, kann der Weg in eine völlig neue Art der Führung und Zusammenarbeit hervorragend gelingen und für alle gewinnbringend sein.

■ Silvia Wiefel

IGU e. V.