4/2018 Haltung zeigen oder „No politics“? Dürfen, sollen oder müssen Unternehmen sogar zu politischen Fragen öffentlich eine Haltung einnehmen?

Im Mai dieses Jahres sorgte Siemens-Chef Joe Kaeser für Aufsehen, als er als erster Chef eines Dax-Konzerns öffentlich auf Konfrontationskurs zur AfD ging. Er kritisierte die Fraktionsvorsitzende Alice Weidel, die zuvor im Bundestag mit einer ausländerfeindlichen, verbalen Entgleisung für einen Eklat gesorgt hatte und twitterte: „Lieber Kopftuch-Mädel als Bund Deutscher Mädel. Frau Weidel schadet mit ihrem Nationalismus dem Ansehen unseres Landes in der Welt. Da, wo die Hauptquelle des deutschen Wohlstands liegt.“ Auch OTTO-Chef Alexander Birken äußerte sich nach den Vorfällen in Chemnitz in einem Gastbeitrag in der WirtschaftsWoche: „Unternehmer, erhebt eure Stimme gegen Hass und Gewalt!“. Und Hubert Barth, Vorsitzender der Geschäftsführung von Ernst & Young forderte vor den letzten Landtagswahlen in Bayern und Hessen seine deutschlandweit 10.000 Mitarbeiter per Mail auf, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen, „um die demokratischen und rechtsstaatlichen Kräfte in unserem Land zu stärken“. Heute sei unsere liberale Demokratie wieder großen Angriffen von Innen und Außen ausgesetzt.

Dabei bestätige uns die ganze Welt, dass unsere Demokratie, unsere Rechtsstaatlichkeit und unsere Internationalität entscheidende Standortvorteile im globalen Wettbewerb seien, schrieb er in seiner Mail. Die AfD nannte er zwar nicht namentlich – der Seitenhieb war dennoch deutlich. Die Liste an Beispielen ließe sich noch um weitere namenhafte und sicherlich auch viele kleine und mittelständische Unternehmer ergänzen und sie zeigt: Es gibt sie, die Firmen bzw. Firmenchefs, die sich als Stellvertreter ihrer Unternehmen klar zu aktuellen politischen Diskussionen positionieren.

Ist Reden Silber und Schweigen Gold?
Der Großteil der deutschen Manager schweigt jedoch lieber, wenn es um Politik oder allgemein polarisierende Themen geht. Das ist nicht verwunderlich, denn es sprechen durchaus gewichtige Argumente für diese Zurückhaltung:

Zunächst einmal muss man mit hoher Gewissheit in Kauf nehmen, vom stillen Beobachter zur Zielscheibe für Anfeindungen zu werden, wie Joe Kaeser es erlebt hat. Der erntete für seine klare Haltung zwar viel Lob, nahm aber auch einen massiven Shitstorm und sogar Gewaltandrohungen gegen ihn und seine Familie in Kauf.

Auch stellt sich in vielen Fällen die Frage des Mandats. Gerade als Chef eines großen Konzerns, der permanent in der Öffentlichkeit steht, lassen sich der Privatmann und die Rolle des Unternehmenslenkers kaum voneinander trennen. Als Privatmann kann man selbstverständlich eine klare politische Haltung formulieren, aber hat man auch ein Mandat für tausende Mitarbeitende und – je nach Rechtsform – für Eigentümer und Aktionäre zu sprechen? Als Chef eines kleinen oder mittleren inhabergeführten Unternehmens besteht zwar erst recht Personalunion zwischen Privat- und Geschäftsmann, aber die Frage des Mandats ist sehr viel einfacher zu beantworten.

Und natürlich besteht auch das wirtschaftliche Risiko von Umsatzeinbußen, weil man davon ausgehen muss, zumindest einen Teil seiner Kunden gegen sich aufzubringen. Eine aktuelle repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag der Kommunikationsagentur JP|KOM zeigt: 67 Prozent der Befragten haben Unternehmen und deren Produkte aus politischen Gründen schon einmal boykottiert.

Nicht mehr ganz aktuell, aber sehr anschaulich für diesen Effekt, ist das Beispiel des Sportartikel-Herstellers Lonsdale. In den 90er-Jahren erfreute sich die Marke im rechtsextremen Milieu großer Beliebtheit – mutmaßlich aufgrund der Buchstabenfolge NSDA im Markennamen. Ende der 90er-Jahre startete Lonsdale daher eine Kampagne gegen Rechts mit dem Slogan „Lonsdale loves all Colors“, überprüfte seine deutschen Vertriebspartner und trennte sich von allen, die im Verdacht standen der rechtsextremen Szene anzugehören. Deutschlandweit gingen die Umsätze damals um 35 Prozent zurück, allein in Sachsen um 70 Prozent. Lonsdale nahm diesen Umsatzeinbruch bewusst in Kauf und engagiert sich auch heute noch gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit.

Natürlich lässt sich das Beispiel von Lonsdale schwer übertragen, denn dieses Unternehmen musste sich zu einem Thema positionieren, mit dem es ohne eigenes Zutun in Verbindung gebracht worden war. Lonsdale befand sich nicht in der Rolle des neutralen Beobachters, sondern war gezwungen eine Haltung zum Rechtsextremismus einzunehmen, denn auch ein Nicht-Handeln wäre in diesem Fall eine Haltung gewesen – zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung.

Was erwartet die Bevölkerung von Unternehmen?
Ohne äußeren Zwang aus der Neutralität herauszutreten ist dagegen eine sehr viel schwierigere Entscheidung, zumal in der Civey-Studie 59 Prozent der Befragten angaben, von Unternehmen eher eine neutrale politische Haltung zu erwarten.

Immerhin 31 Prozent der Deutschen wünschten sich jedoch ausdrücklich eine klare Positionierung. Die Befürworter gehörten dabei vermehrt dem eher linken Wählerspektrum an (SPD, Grüne, Linke), während sich im Lager der AfD Wählerschaft rund 80 Prozent für politische Neutralität von Unternehmen aussprachen – und das, obwohl das Recht auf Meinungsfreiheit ansonsten gerade bei der AfD und ihren Anhängen gerne in Anspruch genommen bzw. ausgereizt wird. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt …

40 Prozent insgesamt und 50 Prozent der 30- bis 39-jährigen gaben sogar an, die Produkte eines Unternehmens häufiger zu kaufen, wenn die öffentlich vertretene Unternehmensmeinung mit der eigenen Überzeugung übereinstimme. Laut einer internationalen Studie im Auftrag von Forbes trifft das in der Generation der Millennials sogar auf 73 Prozent zu. Vier von fünf dieser wirtschaftlich immer wichtiger werdenden Generation fordern von Marken, ihre Werte und Haltungen offen zu kommunizieren.

Sich neutral verhalten oder sich klar positionieren?
Für beide Optionen gibt es wirtschaftliche Argumente, so dass diese alleine bei der Entscheidung nicht weiterhelfen. Aber eine Haltung, die man aus wirtschaftlichem Kalkül kommuniziert, oder schlimmer noch, sie aus diesem Kalkül überhaupt erst einnimmt, hat mit Haltung dann auch eigentlich nichts mehr zu tun, sondern ist „Whitewashing“, also reine PR-Strategie. Und davon ist in unserer digitalen Wissensgesellschaft dringend abzuraten, denn sie ist nur allzu leicht zu durchschauen. Haltung darf weder Trend noch Fake sein. Entscheidend ist, dass man danach handelt und für sie einritt – jeder in seinem individuellen Wirkungskreis. Denn die wenigsten Unternehmer twittern so umtriebig wie Joe Kaeser, betreiben einen eigenen Firmenblog oder werden zu politischen Talkshows eingeladen. Aber im direkten persönlichen und beruflichen Umfeld kann, darf und sollte jeder Haltung zeigen – und zwar mit Worten UND Taten.
■ Ruth Snethkamp

IGU e. V.